Erlosung
Hand, zog sie mit sich über das schlecht asphaltierte Trottoir die StraÃe hinunter. Die Nachtluft war warm, und als sie rannte, spürte Ella die Berührung kleiner Mücken im Gesicht, wenn sie in einen der tanzenden Schwärme unter den Laternen geriet.
Die drei Männer waren dicht hinter ihnen, aber sie schossen nicht. Sie waren auch sonst leise, keine Rufe, kein Gebrüll, nur ihre klatschenden Schritte auf dem Asphalt, ihr hechelnder Atem, das Pfeifen ihrer Lungen. Dany hielt noch immer Ellas Hand, rannte voraus, sein Rücken dicht vor ihr, seine blonden Haare jetzt dunkel vor SchweiÃ.
Das Cabrio fuhr langsamer: Vier Jugendliche saÃen darin, drei Jungen, ein Mädchen, Zigaretten und Bierflaschen in den Händen. Sie waren fast vorbei, da bremste der Fahrer plötzlich abrupt, legte den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Das Cabrio rollte jaulend mit hochragendem Heck zurück. Einer der Jungen lehnte sich über die Tür und winkte mit seiner Bierflasche, das Gesicht halb unter dem Schirm einer Baseballkappe verborgen. »Hey, kleines Mädchen«, rief er mit russischem Akzent, »komm, fahr mit uns, kleines Mädchen.«
Ella blieb stehen. Danys Hand entglitt ihr. Er rannte noch ein Stück weiter, ehe er mitbekam, dass sie nicht mehr bei ihm war. Keuchend drehte er sich im Licht einer Laterne um. Ella stand in der Mitte des Bürgersteigs und streckte dem jungen Russen in dem Cabrio die rechte Faust mit gestrecktem Mittelfinger entgegen.
Die drei Männer liefen ebenfalls langsamer, waren fast bei ihr, die Hände mit den Pistolen jetzt unter den JackenschöÃen verborgen. Alle drei wirkten ausdruckslos wie Roboter, kein Mienenspiel, kein Leben in den Augen. Einer schien schwere Verbrennungen im Gesicht erlitten zu haben, denn der linke Wangenknochen war mit verpflanzter Haut von dem künstlichen Rosa eines Puppenkörpers bedeckt.
Der junge Russe stieà die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Er war stämmig und gröÃer, als er im Sitzen gewirkt hatte. Um seinen kräftigen Hals baumelte eine Panzergoldkette. Das kurzärmelige kragenlose Hemd hing über die Hose bis zu den Knien hinunter wie bei einem Hip-Hopper. Er hielt noch immer seine Bierflasche in der Hand, als er mit schwingenden Schritten auf Ella zustolzierte. »Mach das noch mal, kleines Mädchen«, sagte er.
Die drei Männer näherten sich Ella von der Seite. Einer von ihnen gab dem Russen ein Zeichen und rief: »Steig wieder in den Wagen, Junge«, aber der Russe schien ihn beim Lärm der
Partymusik nicht zu hören. Als der Mann sich ihm in den Weg stellen wollte, schlug der Junge ihm die Bierflasche mit solcher Wucht ins Gesicht, dass die Flasche zerplatzte. Der Mann riss die Hände hoch, und eine Fontäne von Blut spritzte ihm aus Nase und Mund. Das Blut war rot im Schein der Laterne, aber dunkelbraun, als es auf den Asphalt klatschte.
Der Russe ging weiter, ohne stehen zu bleiben, ohne sich umzuschauen. Er hatte Ella beinahe erreicht, da stürzte sich einer der beiden anderen Männer auf ihn, und jetzt hatte der Junge keine Flasche mehr, und der Mann packte ihn bei den Schultern, fasste ihn um Schulter und Hals wie einen guten Freund und versetzte ihm einen schnellen Kopfstoà mit der Stirn gegen die Nase. Der Junge schrie und stürzte auf das Trottoir, beide Hände gegen das Gesicht gepresst.
Der Mann wischte sich mit raschen Bewegungen das Blut von seinem silbrig schimmernden Jackett, dann trat er dem Jungen in die Seite und gegen die Brust und gegen den Kopf, ohne ein Wort zu sagen.
Plötzlich waren auch die beiden anderen Jungen und das Mädchen aus dem Cabrio auf dem Bürgersteig. Der gelbe BMW stand mit offenen Türen in der Mitte der StraÃe, in Abgasnebel und dröhnende Musik gehüllt. Die Jungen und das Mädchen brüllten russische und deutsche Schimpfworte, drängten die grauen Männer von ihrem Kumpel weg und schlugen dabei mit Fäusten und Flaschen auf sie ein.
Ella wich langsam zurück, bis sie gegen Dany stieÃ. Er hielt ihren Arm mit einer Hand und deutete auf die StraÃe, auf das Cabrio mit den offenen Türen. Sie liefen zu dem Wagen und sprangen hinein, Dany hinter das Steuer, und als er Gas gab und losfuhr, konnte Ella im AuÃenspiegel sehen, wie der Mann und der Junge nicht aufhörten zu kämpfen und dabei immer kleiner wurden, während die Nacht und die StraÃe wuchs und bald
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