Erlosung
Kriegsschiffe. Nackte Frauen. Gangsterrapper. Eine Talkrunde. Ein Nachrichtensprecher.
Der Sprecher saà vor einem Foto von mehreren Löschzügen der Feuerwehr, die aus einem Dutzend Schläuchen Wasserfontänen in ein nächtliches Flammeninferno spritzten. »Berlin«, sagte er. »Nach Erkenntnissen der Feuerwehr wurde das GroÃfeuer in der Berliner Diskothek in der vergangenen Woche wahrscheinlich von einem defekten Elektrokabel ausgelöst. Bei dem Brand kamen sechzehn Menschen ums Leben, siebenundachtzig wurden zum Teil schwer verletzt. Fremdverschulden schlieÃen Polizei und Feuerwehr aus.«
Das Bild des Feuers wurde von einem Foto einer Euromünze abgelöst. »Die Eurokrise weitet sich aus«, sagte der Sprecher. »Nach Spanien hat nun auch Portugal die EU und den Internationalen Währungsfonds um einen Kredit von hundert Milliarden gebeten. Immer mehr Länder geraten in den Sog der Abwärtsspirale, die von Finanzwetten internationaler Hedgefonds â «
Dany schaltete weiter. Ein Gepard hetzte eine Gazelle durch hohes Steppengras. Noch mehr nackte Frauen. Sie spreizten die Beine oder GesäÃbacken, streichelten sich die Brüste, halb verborgen hinter anschwellenden bunten Telefonnummern. Ruf jetzt an! Zurück zu dem Geparden, der Talkrunde, den Rappern, den Kriegsschiffen, dem Nachrichtensprecher.
»Paris«, sagte der Sprecher. »Noch immer gibt es keine Spur im Fall des verschwundenen französischen Bankiers Raymond Lazare, der vor zwei Tagen â «
Dany wechselte erneut den Kanal. Bilder von einer Demonstration, arbeitslose Werftarbeiter in Wismar, nächtliche Tumulte in der Hamburger HafenstraÃe, Molotowcocktails, vermummte Autonome, Spezialkräfte der Polizei, brennende Autos, Wasserwerfer. Max Jansen, lächelnd, im blauen Uniformhemd
des Rettungsassistenten. Eine grell geschminkte Frau, die verschieden groÃe Kupfertöpfe zum Verkauf anpries â
»Zurück!«, rief Ella.
Dany zappte zurück, aber da, wo eben Max Jansen gewesen war, sah man jetzt die Charité, und eine Männerstimme aus dem Off sagte, »wo Täterin und Opfer, die bis vor Kurzem eine Affäre unterhalten haben sollen, in der Nacht vor dem brutalen Mord zusammen Rettungseinsätze gefahren sind â «
»Das war Max«, sagte Ella. Wie hypnotisiert starrte sie auf den Bildschirm, auf dem jetzt sie selbst erschien, ein Foto, erst ein paar Jahre alt. Sie stand im weiÃen Kittel in der ersten Reihe eines Pulks streikender Klinikmitarbeiter, ihr Kopf war mit einem roten Kreis gekennzeichnet. Dazu sagte der Sprecher: »Die Internistin Ella Bach, einunddreiÃig, die auch im Zusammenhang mit dem mysteriösen Ãberfall auf die verschwundene französische Studentin Madeleine Schneider gesucht wird, ist seit der Tat auf der Flucht. Der junge Rettungsassistent Max Jansen war am Samstagmorgen â «
Wieder wurde das Foto von Max gezeigt, dann die Fassade des Hauses, in dem er gelebt hatte. Ein etwas gröÃerer weiÃer Kreis bezeichnete sein Küchenfenster. Vor dem Haus parkten zwei Polizeiwagen und ein Rettungsfahrzeug, alle mit dramatisch blitzenden Blaulichtleisten. Eine Gruppe neugieriger Anwohner hatte sich in einem Halbkreis um den Eingang und die Einsatzfahrzeuge versammelt. Die Kamera schwenkte über die enge StraÃe zum Fernsehturm und weiter zu den erleuchteten Arkaden unter dem Bahnhof Hackescher Markt. Eine eingeblendete Schrift unten im Bild erklärte, dass es sich um die Wiederholung einer Nachrichtensendung vom vorigen Abend handelte.
Ella sank auf die Bettkante, ohne die Augen vom Bildschirm zu lösen. Sie hatte ein Gefühl, als hätte ihr jemand Schnee ins Gesicht gerieben. Mit beiden Händen fuhr sie sich durch das
feuchte Haar, presste die Handballen gegen die Schläfen. Dany sah sie von der Seite an, mit halb geschlossenen Augen, als strahle sie ein gefährliches Licht aus, sei aber trotzdem von unwiderstehlicher Anziehungskraft. »Machen Sie das bitte aus«, sagte sie endlich.
Er schaltete den Fernseher aus, und nach einer Sekunde lag der Raum wieder im Halbdunkel. Nur das Licht aus dem Bad fiel durch den Türspalt auf die untere Hälfte des Betts. »Sie verlieren nicht viel Zeit«, sagte Ella. Sie lieà ihren Kopf los und legte die Hände in den SchoÃ, als gehörten sie nicht zu ihr. Es kam ihr vor, als gehörte immer weniger zu ihr oder veränderte sich
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