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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Eine tiefe Scham erfüllte sie.

    Du siehst zu, wie ein Mensch gequält wird – eine junge Frau, die vielleicht jetzt schon nicht mehr lebt, während du hier stehst und auf den Monitor starrst, auf das digital zusammengesetzte Bild eines beginnenden Todes.
    Da wanderte plötzlich ein heller Fleck über die Zimmerdecke von Michalewskis abgedunkeltem Beobachtungsraum. Ella sprang zur Balkontür und spähte durch einen Spalt in der Jalousie hinüber zu den Fenstern der Wohnung auf der anderen Seite des Hofes. Einen Moment lang glaubte sie, dort etwas zu sehen, ein kurzes Aufflackern wie von einer Taschenlampe, die ein- und gleich wieder ausgeschaltet wurde. Danach lag die Wohnung wieder im Dunkeln.
    Ãœber den Avid gebeugt, drehte Dany an einem Regler, drückte eine weitere Taste. Ein zweiter Monitor zeigte die Wohnung jetzt im hellen Tageslicht. »Und das – wann ist das? Am selben Tag?«, fragte er.
    Michalewski, der sich bis an die Tür zum Korridor zurückgezogen hatte, nickte. »Ort, Zeit und Objekt stehen auf der Hülle.«
    Ella kehrte an den Avid zurück und warf einen Blick auf den zweiten Monitor. Streifen von Sonnenschein fielen durch das weit offene Fenster der Wohnung. An den reglosen Planen konnte man erkennen, dass kein Wind wehte, nicht der leiseste Hauch. Eine junge Frau ging durch den großen Raum, in dem der Schreibtisch stand. Sie war barfuß und trug nichts außer einem malvenfarbenen Höschen. Sie hatte lange, schlanke Beine und feste Brüste, die sich im Rhythmus ihres Atems hoben und senkten. Ein matter Schweißfilm überzog ihre sonnengebräunte Haut. Das haselnussfarbene Haar hatte sie im Nacken mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und wenn sie zum Fenster hinsah, konnte Ella erkennen, wie schön sie war.
    Â»C’est elle« , sagte Dany leise. »Mado.«

    Die junge Frau blieb bei dem Aquarium vor dem Fenster stehen, betrachtete das Unterwasserballett der bunten Fische, das abrupt von Zeitlupe zu Zeitraffer wechselte, als sie etwas Futter in das türkisgrüne Wasser schüttete. Auf der Tonspur erklangen jetzt andere Geräusche: fernes Kindergeschrei, das Scheppern von Besteck, von Töpfen, Radiomusik. Die Geräusche wurden abrupt leiser, als Mado nach einem Handy griff, das auf der zum Teil sichtbaren Schreibtischplatte lag. Sie klappte es auf, warf einen Blick auf das Display und drückte einen Knopf. »Oui, Mado «, meldete sie sich. Sie lauschte, lächelte. » Professeur Forell«, sagte sie, lauschte wieder und nickte eifrig. » Oui, j’etais à Paris et hier soir je l’ai rencontrée. J’ai parlé avec lui de l’histoire de nos familles et – « Sie unterbrach sich und fuhr auf Deutsch fort: » – und von dem Journal habe ich ihm auch erzählt! Ich habe ihm eine Kopie davon gezeigt und – ja, er hat mir etwas für Sie gegeben – eine Flasche Wein – ja, Wein!«
    Sie hörte erneut zu, nickte schweigend. »Wenn Sie wollen, kann ich sie Ihnen sofort bringen – «
    Wieder wanderte der blasse, helle Fleck über die Zimmerdecke des Beobachtungsraums. Ella lief noch einmal zum Balkon und kippte die Lamellen der Jalousie, um besser hinaussehen zu können. Etwas war anders im Penthouse auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes: ein Schatten, wo sich vorher keiner befunden hatte. Am Fenster stand jemand. Ein Mann. Reglos, so wie sie. Er schien Ella anzusehen. Nein, er kann dich nicht sehen, nicht wenn er –
    Plötzlich traf sie der Lichtstrahl einer starken Taschenlampe. Der Mann leuchtete ihr direkt ins Gesicht.
    Sie zuckte zurück. Sie sind da. Sie haben uns entdeckt. Der Lichtkegel verweilte einen Moment auf der Jalousie, dann wanderte er weiter. Vorsichtig näherte Ella sich wieder der Jalousie. Sie konnte das Gesicht des Mannes in der Dunkelheit
der Wohnung nicht erkennen, nur seine Umrisse und die Lampe, deren Strahl jetzt langsam zurückkehrte und auf dem Balkon verweilte.
    Â»Sie sind da«, sagte Ella. »Sie sind da drüben im Penthouse. Wir müssen weg!«
    Danys Finger flogen weiter über die Tastatur des Avid, als hätte er sie nicht gehört.
    Â»Wer ist drüben?«, fragte Michalewski.
    Der Strahl der Taschenlampe erlosch, die Gestalt am Fenster des Penthouses verschwand.
    Ella lief zum Schnittpult. »Sie kommen hierher, Dany.«
    Â»Gleich«, sagte Dany wie

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