Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
Vom Netzwerk:
Rezeption, der öffnete, als sie die Klingel drückten.
    Wir hätten es schlimmer treffen können. Ella saß auf einer Seite des Doppelbetts, Dany auf der anderen, und so hatten sie die ganze Zeit dagesessen, seit sie in das Zimmer gekommen waren. Jetzt ließ Ella sich einfach nach hinten kippen.
    Dany rührte sich nicht. Er saß mit dem Rücken zu ihr im Dunkeln, und dann atmete er tief ein und aus und sagte: »Ich muss die ganze Zeit an Mado denken. Es war so schrecklich, sie
so zu sehen. Wenn ich mir vorstelle, was sie vielleicht jetzt gerade …« Ein paar Sekunden vergingen, in denen er vor seinem inneren Auge etwas sah, was Ella sich nicht vorstellen mochte.
    Â»Wie ist sie denn eigentlich?«, fragte Ella. »Stehen Sie sich nahe?«
    Â»Früher standen wir uns sehr nahe«, sagte er, »als wir Kinder waren.«
    Â»Wie war sie als Kind?«
    Wieder schwieg er, schien sich die gemeinsame Kindheit erst wieder in Erinnerung rufen zu müssen. Dann sagte er: »Ich möchte nicht darüber reden. Es käme mir vor, als würde ich nicht mehr daran glauben, dass wir sie lebend wiederfinden.«
    Ella dachte an Max, den sie in den letzten Stunden fast vergessen hatte, und sagte: »Wir brauchen Hilfe. Allein schaffen wir das nicht.«
    Dany schwieg.
    Â»Ein Anwalt«, sagte sie, aber vielleicht dachte sie es auch nur. Sie schlief ein, als sie noch glaubte, wach zu sein. In der winzigen Zeitspanne zwischen Wachsein und Schlaf durchzuckte sie plötzlich ein anderer Gedanke, der ihr jedoch im selben Moment wieder entglitt. Sie wusste nur, dass er beunruhigend war, vage und beunruhigend und dass er mit Dany zu tun hatte; mit etwas, das er getan oder nicht getan hatte.
    Als sie wieder erwachte, hatte sie den Gedanken vergessen. Sie wusste nicht, wo sie war, und brauchte einen Augenblick, um sich zurechtzufinden. Dann fiel es ihr ein, und sofort kehrte auch die Angst zurück. Es war noch immer dunkel im Zimmer. Sie lag auf dem Rücken am Kopfende des Betts, so wie sie eingeschlafen war, beide Füße auf dem Boden. Ihr Rücken schmerzte, als hätte sich ein Nerv in ihrer Wirbelsäule verklemmt. Dany lag zusammengerollt am unteren Ende. Er atmete gleichmäßig, und eine seiner Hände lag so dicht neben ihrer, dass sie seine Wärme spüren konnte.

    Leise, um ihn nicht zu wecken, stand sie auf und ging ins Bad. Sie schloss erst die Tür, bevor sie Licht machte und sich auszog, um zu duschen. Sie versuchte die Milchglasscheibe der Duschkabine zuzuziehen, aber sie klemmte. Sie drehte den altmodischen Keramikknopf für das heiße Wasser auf. Der Strahl, der auf sie herabprasselte, war kalt. Sie schnappte nach Luft. Es dauerte eine Weile, bis das Wasser heiß wurde, und nach einer weiteren Weile war der Schmerz in ihrem Rücken verschwunden.
    Sie wusch sich mit süßlich riechendem Duschgel aus einem Kunststoffspender an der Wand und blieb noch eine Weile mit geschlossenen Augen unter dem fließenden Wasser stehen, bevor sie die Kabine verließ. Sie trocknete sich das Haar mit einem der fadenscheinigen Frotteetücher von einem verchromten Handtuchhalter neben dem Waschbecken. Einen Föhn gab es nicht. Sie hatte sich gerade wieder angezogen, als sie Danys Stimme durch die geschlossene Tür hörte. Zuerst dachte sie, er rede mit ihr, doch dann erkannte sie, dass er Französisch sprach.
    Â»Non … non, pas maintenant – demains … dans le bain … elle peut retourner chaque minute!«
    Mehr verstand sie nicht, und sie war nicht einmal sicher, ob sie das richtig verstand. Nein … nein, nicht jetzt – morgen … im Bad … sie kann jede Minute zurückkommen! Sie öffnete die Tür einen Spalt. Er stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster. Unvermittelt beendete er das Gespräch, als hätte er gespürt, dass sie ihn beobachtete. Er nahm die Fernbedienung, die auf dem Fernseher lag, und schaltete ihn ein. Sie öffnete die Tür ganz. »Ich konnte nicht schlafen«, sagte sie. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon, bald wird es hell.« Er setzte sich mit der Fernbedienung in der Hand auf die Bettkante, wechselte die Kanäle schnell hintereinander. Auf dem kleinen Bildschirm rollten alte Panzer in flackerndem Schwarz-Weiß über versteppte Hügel. Flugzeuge warfen schwarze
Bombenteppiche ab, die weiß explodierten.

Weitere Kostenlose Bücher