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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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auf eine Weise, dass sie es nicht mehr wiedererkannte. Warum hatte Max den Brief nicht abgeschickt? Sie sah sein Gesicht vor sich, nicht wie eben im Fernsehen, sondern wie man ein Gesicht sieht, wenn man plötzlich etwas Neues darin erkennt und im selben Moment begreift, dass man es für immer verloren hat.
    Dany sagte: »Ich habe gerade einen Freund in Paris angerufen, einen Anwalt, der viel mit der Polizei zu tun hat – «
    Â»Es ist mitten in der Nacht.«
    Â»Dafür ist ein Freund da.«
    Es ist mitten in der Nacht, und ich habe nur einen Freund, den ich anrufen kann, nur Anni. »Darf ich kurz Ihr Handy benutzen?«
    Dany reichte ihr sein Handy. Sie griff danach, aber er hatte es noch nicht losgelassen. Ihre Hände berührten sich, und eigentlich hätte sie jetzt ihre Hand zurückziehen können oder er seine, nur dass sie das nicht taten. Sie berührten sich, und dann hielten sie einander fest, und gleich darauf küssten sie sich. Sie spürte seine Lippen, seine Zunge, die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, während sie sich noch kühl vorkam, kühl und feucht. Sie lachte und schluckte Tränen, bevor sie sich erneut gegeneinanderpressten, voller Hast und Gier. Wieder die harten
Lippen, die fordernde Zunge. Ihre Fingernägel gruben sich in den Stoff seines Hemdes, suchten die Haut. Sie schloss seinen Kopf in ihre Arme, drückte ihn an sich, dann von sich weg, wortlos, ungeduldig. Drückte ihn aufs Bett.
    Er lag halb unter ihr. Sie spürte, wie ihr Herz einen Ruck tat, es schien sich zu öffnen und im nächsten Moment schnappte es wieder zu, und sie dachte, mit dem Herz hat das nichts zu tun. Sie ließ sich auf ihn sinken, zerrte an seinem Hemd, versuchte seine Gürtelschnalle zu öffnen und wartete auf seine Hände, sehnte ihre Berührung herbei. Lass mich vergessen, wer ich bin, warum ich hier bin, verwandle mich. Sie wollte schnell dorthin kommen, wo sie nicht mehr dachte, nicht mehr fragte, wo sie nichts als Hände und Haut war, nur noch keuchender Atem, rasende Gefühle, die kamen und gingen, ohne dass sie etwas dazutat.
    Sie umklammerte ihn mit Armen und Beinen, warf sich herum. Er riss ihre Bluse auf, kein BH, fand ihre Brustwarzen und nahm sie in den Mund, dann sacht zwischen die Zähne, während seine Zunge sie streichelte. Sie erstarrte, ein süßer Schmerz durchfuhr sie bis hinunter zwischen die Beine. Einen Moment lang dachte sie, gleich werde ich ohnmächtig, ein unerträglich starkes Gefühl, das letzte, das sie bewusst wahrnahm, denn endlich wurde sie sich selbst fremd, fiel in das heiße, anschwellende Dunkel, in dem es sie nicht mehr gab.
    Danach lag sie unter ihm, spürte aber sein Gewicht kaum, weil sie nur langsam in ihren Körper zurückkehrte. Sein Atem strich über ihren Hals, erst schnell, dann ruhiger, tiefer, während an den Rändern ihrer Wahrnehmung Müdigkeit heranflog. Ihr Herz schlug dicht an seinem, und sie empfand Zärtlichkeit für ihn, das war alles.
    Â»Ella«, sagte er, und bevor er weitersprechen konnte, brachte sie ihn zum Schweigen, mit leichtem Kopfschütteln. »Es hat nichts zu bedeuten«, sagte sie. »Es ist bloß die Nacht.«

    Â»Gut«, sagte er nach einer Weile, »warum nicht? Schieben wir es auf die Nacht.« Er richtete sich auf, rollte zur Seite, lag neben ihr auf dem Rücken. »Oder die Einsamkeit.«
    Oder die Angst, dachte sie.
    Auf einmal fiel ihr der beunruhigende Gedanke wieder ein, der ihr vor dem Einschlafen entglitten war, und jetzt bekam sie ihn zu fassen. Er hat ihren Namen nicht genannt, dachte sie. Gestern Nachmittag, als Dany sich Zutritt zum Penthouse verschafft hatte, war er durch die ganze Wohnung gegangen, ohne einmal nach seiner Schwester zu rufen.
    Er konnte doch nicht wissen, dass sie nicht da war, nicht, wenn er mir die Wahrheit gesagt hat.
    Warum hatte er nicht gerufen: »Mado! Mado?! Bist du da?«

19
    Schieben wir es auf die Angst : Am Anfang der ersten Aufnahmen hatte Mado noch keine Angst. Die kam später, am Ende, gegen Abend, als Ella die letzten Minuten der DVDs ansah. Die ersten Aufnahmen waren entstanden, bevor die Gerüstbauer das Haus gegenüber mit der blauen Plastikplane verkleidet hatten: Mado beim Lesen, Mado beim Telefonieren, Mado bei der Arbeit an ihrem Laptop, in Jeans, in BH und Höschen, nur im Slip.
    Der Voyeur hatte ausgezeichnete Kameras eingesetzt, sie lieferten gestochen

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