Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
An ihrem Handgelenk war ein iPod befestigt, von dem ein Kabel zu den weißen Ohrstöpseln führte. Sie schien ganz in ihrer eigenen Welt versunken, völlig ahnungslos von den Grausamkeiten, die am Rand ihrer üblichen Route geschehen waren.
»Es ist gleich da hinten«, unterbrach Lange Lind Rolands Pfeifen und zeigte nach vorn.
Per Roland hatte bereits das Absperrband erblickt, das sich um das kleine Holzhaus zog. Es lag etwa mittig zwischen dem breiten, asphaltierten Skydebanevej, der schnurgerade von Süd nach Nord durch das Übungsgelände führte, und einem kleineren, nicht asphaltierten Weg, der von West nach Ost verlief. Das Haus hatte zwei Stockwerke und einen Keller, und die glaslosen Fenster starrten sie dunkel an.
»Ich dachte, diese Truppenübungsplätze wären für die Öffentlichkeit gesperrt«, sagte Lange Lind, während er eine fiberoptische Lampe aus dem Kofferraum nahm.
»Einige militärische Übungsgelände sind für die Öffentlichkeit geöffnet worden, um der Bevölkerung Zugang zur Natur zu verschaffen. Das ist eine Regierungsmaßnahme. Die liegen ja oft in schönen Gegenden. Wie hier, das Gelände geht bis an den Sund.«
Roland reckte seinen Hals und sah den Als-Sund in der Ferne. Das Meer war das nicht gerade, aber segeln konnte man darauf.
Im Inneren des kleinen Hauses war alles leer. Keine Möbel, nichts an den Wänden. Roland verstand plötzlich, was mit gähnender Leere gemeint war. Nicht dass er irgendetwas Konkretes erwartet hatte, aber irgendwie ging man doch immer davon aus, dass sich in einem Haus etwas befand. Hier war bloß Holz. Das Haus schien richtig alt zu sein, gebaut aus massiven Balken, mit Ausnahme des Kellerbodens, der aus nun frisch aufgegrabener Erde bestand.
Sie näherten sich vorsichtig, um nicht auch noch die letzten Spuren zu zerstören, denn vielleicht gab es ja doch noch Fußspuren, Fingerabdrücke oder Täterblut. Der Geruch des Todes hing noch immer im Raum.
Lange Lind kniete sich hin und leuchtete mit seiner Lampe alles ab. Roland erkannte die kleinen Markierungen der Kriminaltechniker, die anzeigten, dass dort etwas gefunden worden war, auf dem möglicherweise ein Fingerabdruck oder sonst irgendetwas war.
Roland sah sich um. Schaute in alle Ecken, hockte sich auf den Boden, starrte an die braunen Wände und schüttelte den Kopf. Es gab keine erkennbaren Spuren. Auf jeden Fall nichts, das klar zu deuten war. Es wies auch nichts darauf hin, dass ein Körper über den Boden geschleift worden war. War das Opfer ins Haus getragen worden oder gar selbst gelaufen? Freiwillig? Und wo war der Mann zerstückelt worden? Vielleicht war das gar nicht der Tatort, vielleicht hatte der Täter das Opfer erst zerstückelt und danach hierhergebracht und vergraben?
»Hier ist nichts«, brummte er. »Nicht das Geringste.«
»Der Boden ist voller Fußspuren«, sagte Lind, » aber hier sind zu viele Leute herumgelaufen, als dass wir davon noch etwas gebrauchen könnten.«
»Verfluchte Lokalpolizisten«, brummte Roland wieder.
Er fuhr mit einer Hand über die Wand, bekam etwas Dreck an die Finger und roch daran. Dann blickte er zu seinem Kollegen hin, der das Grab, die Wände und den Boden minutiös mit seiner Speziallampe untersuchte.
Plötzlich richtete Lind sich auf.
»Seltsam«, sagte er.
Roland starrte ihn an. Er hatte gelernt, auf das zu hören, was Lind von sich gab, und wenn er etwas seltsam fand, hieß das immer, dass er etwas gefunden hatte, das sie gebrauchen konnten. Lange Lind war mit seinen 35 Jahren der jüngste Tatortanalytiker des Landes, aber auch klar der beste. War eine Nadel in einem Heuhaufen versteckt, fand er diese sofort, wenn er die Scheune betrat – allein aus der Tatsache heraus, dass die Halme nicht natürlich lagen. Einmal hatte er einen Fall dadurch gelöst, dass er erkannt hatte, dass ein Karton in einer Lagerhalle bewegt worden war, eine Ecke war leicht eingedrückt. Zwischen Hunderten von aufeinandergestapelten Kartons hatte er den einen entdeckt. In dem Moment hatte Roland gewusst, dass er diesen Mann in seinem Team haben wollte.
»Was ist?«, fragte er, während er seinen dreckigen Finger vor sich hielt. Vielleicht hatte dieser Dreck ja auch eine Bedeutung. »Kannst du dir das hier mal anschauen?«
Linds langer Arm streckte sich zu ihm aus.
»Moment mal, ich muss mir hier erst noch die andere Seite angucken«, sagte er und schob sich weiter über den Kellerboden vor.
Roland schwieg und ließ den Experten seine Arbeit machen,
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