Ernest Hemingway
war ebenfalls ein Ausgleich für das Unerfreuliche unserer Dienstobliegenheit, und auf der Rückfahrt waren wir uns, während wir unsere Eindrücke austauschten, einig, daß es tatsächlich ein Glück gewesen war, daß wir des Feuers, das gerade, bevor wir kamen, ausgebrochen war, so schnell Herr geworden waren, bevor es irgendeins der anscheinend riesigen, nichtexplodierten Munitionslager erreicht hatte. Wir waren uns auch alle einig, daß das Aufsammeln der Fragmente eine außergewöhnliche Sache gewesen sei, war es doch erstaunlich, daß der menschliche Körper in Stücke gesprengt wurde, die nicht nach der anatomischen Struktur auseinanderplatzten, sondern sich eher so willkürlich teilten wie eine Explosivgranate beim Bersten.
Ein Naturforscher darf sich wohl, um Genauigkeit der Beobachtung zu erzielen, bei seinen Beobachtungen auf einen begrenzten Zeitraum beschränken, und ich will mich zuerst mit jenem befassen, der auf die österreichische Juni-Offensive 1918 in Italien folgte, als einem, in dem die Toten in allergrößter Zahl vorhanden waren, da ein Rückzug erzwungen und später ein Angriff gemacht worden war, um den verlorenen Boden zurückzugewinnen, so daß die Stellungen nach der Schlacht genau dieselben waren wie vorher, bis auf das Vorhandensein der Toten. Ehe die Toten begraben sind, verändern sie irgendwie jeden Tag ihr Aussehen. Bei den kaukasischen Rassen verändert sich die Farbe von weiß über gelb, gelbgrün zu schwarz. Lange genug in der Hitze gelassen, beginnt das Fleisch Holzteer zu ähneln, besonders dort, wo es aufgerissen oder zerfetzt ist, und es schillert auch ganz deutlich wie Teer. Die Toten schwellen jeden Tag mehr an, bis sie manchmal viel zu groß für ihre Uniformen sind und diese ausfüllen, bis sie so stramm sind, daß sie fast zu bersten scheinen. Die einzelnen Glieder können in unglaublichem Maß an Umfang zunehmen, und Gesichter können sich so prall und kugelförmig wie Ballons füllen. Das Überraschendste außer der fortschreitenden Korpulenz ist die Unmasse von Papier, die um die Toten verstreut ist. Ihre letzte Lage, bevor man an ein Begräbnis denken kann, richtet sich nach der Anbringung der Uniformtaschen. Bei der österreichischen Armee waren diese Taschen hinten in den Hosen, und die Toten lagen demzufolge nach kurzer Zeit alle auf dem Bauch, beide Hüfttaschen umgestülpt und um sie herum im Gras verstreut alle jene Papiere, die die Taschen enthalten hatten. Die Hitze, die Fliegen, die kennzeichnenden Stellungen der Leichen im Gras und die Menge von verstreutem Papier sind die Eindrücke, die einem bleiben. Den Geruch eines Schlachtfeldes bei heißem Wetter kann man sich nicht zurückrufen. Man kann sich erinnern, daß es solchen Geruch gegeben hat, aber nichts begegnet einem je, das ihn zurückbringt. Er ist unähnlich dem Geruch eines Regiments, der einem plötzlich entgegenschlagen kann, wenn man in der Straßenbahn fährt, und man wird aufblicken und den Mann sehen, der ihn einem zugetragen hat. Aber das andere ist so völlig weg, wie wenn man verliebt gewesen ist; man besinnt sich auf Dinge, die geschehen sind, aber was man empfunden hat, kann man nicht zurückrufen.
Was wohl Mungo Park, jener rastlose Reisende, auf einem Schlachtfeld bei heißem Wetter gesehen hätte, um seine Zuversicht wiederherzustellen? Ende Juni und den Juli über gab es immer Mohnblumen zwischen dem Getreide, und die Maulbeerbäume waren dicht belaubt, und man konnte die Hitzewellen von den Kanonenrohren aufsteigen sehen, wo die Sonne durch die Laubabdeckung auf sie prallte; die Erde war am Rand von Löchern, wo Senfgasgranaten gefallen waren, von leuchtendem Gelb, und ein normal zertrümmertes Haus sieht besser aus als eines, das niemals beschossen worden ist, aber wenige Reisende würden wohl einen vollen Atemzug jener Frühsommerluft einziehen und ähnliche Gedanken hegen wie Mungo Park über jene, die nach Seinem Bilde geschaffen sind.
Das erste, was einem an den Toten auffiel, war, daß sie wie Tiere starben, wenn sie schlimm genug getroffen waren. Manche schnell an einer kleinen Wunde, von der man nicht denken würde, daß sie ein Kaninchen töten könne. Sie starben an kleinen Wunden, wie Kaninchen manchmal von drei oder vier Schrotkörnern sterben, die kaum die Haut zu durchlöchern scheinen. Andere starben wie Katzen; mit zertrümmertem Schädel und Eisen im Hirn liegen sie zwei Tage lang lebendig da wie Katzen, die mit einer Kugel im Hirn in den Kohlenkasten kriechen
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