Ernest Hemingway
Aspekt des Krieges ist auch der, daß nur hier der Naturforscher Gelegenheit hat, die Toten der Maultiere wahrzunehmen. Ich habe niemals während meiner zwanzigjährigen Beobachtungen im Zivilleben ein totes Maultier gesehen und begann Zweifel zu hegen, ob jene Tiere wirklich sterblich seien. Bei seltenen Anlässen hatte ich etwas gesehen, was ich für ein totes Maultier hielt, aber beim Näherkommen hatte es sich immer als eine lebendige Kreatur erwiesen, die durch ihre absolute Ruhe tot zu sein schien. Im Krieg aber erliegen diese Tiere in ziemlich der gleichen Art wie das gemeinere und weniger zähe Pferd.
Die meisten toten Maultiere sah ich auf den Bergstraßen oder sie lagen am Fuß von steilen Abhängen, die man sie hinabgestoßen hatte, um die Straßen von dem von ihnen verursachten Hindernis zu befreien. In den Bergen, wo man ihre Gegenwart gewohnt war, schienen sie gar kein so unpassender Anblick zu sein, und sie sahen dort weniger fehl am Platze aus als später in Smyrna, wo die Griechen all ihren Lasttieren die Beine brachen und sie vom Quai hinunter ins flache Wasser stießen, um sie zu ertränken. Die Unmengen verstümmelter Maultiere und Pferde, die in dem flachen Wasser ertranken, schrien nach einem Goya, um sie darzustellen, obgleich man, wörtlich genommen, kaum sagen kann, daß sie nach einem Goya schrien, da es ja nur einen längst verstorbenen Goya gegeben hat und es äußerst zweifelhaft ist, ob diese Tiere, falls sie dazu fähig gewesen wären, nach einer bildlichen Darstellung ihrer Notlage geschrien hätten; es ist wahrscheinlicher, daß sie, wenn sie mit Sprache begabt gewesen wären, nach jemandem geschrien hätten, um ihre Lage zu lindern.
Was das Geschlecht der Toten betrifft, ist es eine Tatsache, daß man sich so an den Anblick gewöhnt, daß alle Toten Männer sind, daß der Anblick einer toten Frau entsetzenerregend ist. Zum erstenmal sah ich die Umkehrung des üblichen Geschlechts der Toten nach der Explosion einer Munitionsfabrik, die auf dem Land in der Nähe von Mailand gelegen war. Wir fuhren zu dem Schauplatz der Katastrophe in Lastwagen auf pappelbeschatteten Landstraßen, die von Straßengräben eingefaßt waren, die viel winziges Tierleben bargen, das ich aber wegen der großen Staubwolken, welche die Lastwagen aufwirbelten, nicht genau beobachten konnte. Als wir dorthin kamen, wo die Munitionsfabrik gewesen war, wurden ein paar von uns eingesetzt, die großen Vorräte an Munition zu überwachen, die aus irgendeinem Grunde nicht explodiert waren, während andere eingesetzt wurden, ein Feuer zu löschen, das auf das Gras eines anstoßenden Feldes übergegriffen hatte. Nachdem dieser Auftrag ausgeführt war, bekamen wir den Befehl, die nächste Nachbarschaft und die umliegenden Felder nach Leichen abzusuchen. Wir fanden und trugen eine ganze Anzahl von diesen in eine improvisierte Totenkammer, und ich muß offen gestehen, es war ein Schock, zu entdecken, daß diese Toten Frauen und nicht Männer waren. In jenen Tagen hatten die Frauen noch nicht begonnen, ihr Haar kurz zu tragen, wie sie es später einige Jahre hindurch in Europa und in Amerika taten, und das Befremdlichste, weil vielleicht Ungewohnteste, war das Vorhandensein, ja und sogar noch befremdlicher, das gelegentliche Fehlen dieses langen Haares. Ich erinnere mich, daß wir, nachdem wir sehr gründlich nach den kompletten Toten gesucht hatten, Fragmente einsammelten. Viele von diesen mußten von einem schweren Stacheldrahtzaun, der einst das Fabrikgebäude umgeben hatte, abgelöst werden, und auch von seinen noch stehengebliebenen Teilen klaubten wir viele dieser Stücke ab, die nur zu gut die ungeheure Wirksamkeit der Sprengstoffe veranschaulichten. Viele Fragmente fanden wir in beträchtlicher Entfernung auf den Feldern; sie waren durch ihr eigenes Gewicht weitergetragen worden. Ich erinnere mich, daß ein und der andere von uns auf der Rückfahrt nach Mailand über das Ereignis sprach und daß man sich einig war, daß das Gefühl von Unwirklichkeit und die Tatsache, daß es keine Verwundeten gab, viel dazu beigetragen hatte, der Katastrophe etwas von dem Grauen zu nehmen, das viel größer hätte sein können. Auch die Tatsache, daß es erst eben geschehen war und daß es demzufolge denkbar wenig unangenehm war, die Toten zu tragen und sich mit ihnen zu befassen, hob es völlig aus den üblichen Schlachtfelderfahrungen heraus. Die angenehme, wenngleich staubige Fahrt durch die wundervolle lombardische Landschaft
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