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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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weit von ihrem Ziel entfernt, als sie plötzlich ein Geräusch vernahmen: Es war ein Hämmern, wie von Metall auf Stein. Beide blickten sich für einen Moment in die Augen, dann rannten sie los.
    Der Waldboden knackte unter ihren Schritten, Zweige peitschten in ihre Gesichter. Obwohl sie nicht sehen konnten, wohin sie traten, liefen sie, so schnell sie konnten. Immer näher kam das unheimliche Klopfen, immer heller wurde der silbrige Schein, der von der Lichtung in den Wald drang.
    Dann hatten sie den Waldrand erreicht. Sie kniffen ihre Augen zusammen, doch sie sahen nur den riesigen Felsen, der im Mondlicht bläulich schimmerte. Das Geräusch war nun aber so klar, dass es keinen Zweifel mehr gab: Jemand dengelte eine Sense. Hier, mitten in der Nacht, mitten im Kemptener Wald.
    Auch wenn das metallische Hämmern den beiden Kommissaren einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte: In Kluftinger keimte wieder Hoffnung auf. Da die Sense noch gedengelt wurde, standen die Chancen gut, Möbius doch noch lebend zu finden. Aber die Zeit drängte.
    Gleichzeitig gaben sie ihre Deckung preis und rannten los.
    ***
    »Polizei! Stehen bleiben!«, schrie Maier in die Nacht, doch seine Stimme zitterte dabei. Trotzdem hatte er bei seinem Gegenüber eine Schrecksekunde erzeugt. Ein dunkles, vom Schock des plötzlichen Lichtscheins geweitetes Augenpaar fixierte den Kommissar. Auch Maier erschrak, denn irgendwie hatte er gehofft, dass er sich die Geräusche nur eingebildet hatte. Auf den Anblick, der sich nun bot, war er nicht vorbereitet gewesen.
    Sein Gegenüber hatte den Schock inzwischen überwunden und wandte sich um. Beinahe hätte er noch einmal seinen Ruf von eben wiederholt, doch er hatte sich wieder unter Kontrolle. Er senkte die Waffe und sah mit pochendem Herzen dem Reh dabei zu, wie es wieder im Wald verschwand.
    ***
    Nun kam es auf jede Sekunde an. Sie liefen gebückt von der gekiesten Forststraße nach rechts auf einen kleinen Weg, vorbei an zwei Hinweistafeln, suchten Schutz im Schatten, den der Findling warf – und erstarrten. Zuerst sah es Kluftinger, kurz darauf Hefele. Vor ihnen tat sich ein grauenhaftes Szenario auf. Vor einer kleinen Nische in dem riesigen Felsblock stand im fahlen Mondlicht, mit dem Rücken zu ihnen, eine dunkle Gestalt, die mit einem kleinen Hämmerchen auf eine Sense einschlug. Kluftingers Atem gefror. Es sah aus, als ob der leibhaftige Tod hier seine Arbeit verrichtete. Links neben der Gestalt, am Boden, zeichneten sich schwach die Konturen eines Bündels ab, das Kluftinger erst auf den zweiten Blick als gefesselten Menschen erkannte. Wie hypnotisiert starrte der Kommissar darauf, wagte nicht, zu atmen, riss die Augen weit auf – und seufzte schließlich erleichtert: Er hatte eine Bewegung wahrgenommen. Sie waren also noch nicht zu spät.
    Kluftinger atmete schwer. Jetzt erst konnte er seine Aufmerksamkeit auch auf die Geräusche richten. Neben dem Hämmern war eindeutig leiser Gesang zu vernehmen. Der Kommissar brauchte eine Weile, bis er das Lied, das der »Sensenmann« brummte, erkannte: Es war das schönste Kirchenlied, das er kannte: »Lobe den Herren«! Er sah zu Hefele. Bildete er sich das nur ein? Aber auch Hefele schien es zu hören.
    Plötzlich fing das am Boden liegende Bündel an zu wimmern. Das musste Möbius sein. Die Gestalt mit der Sense raunte ihm etwas zu, Möbius aber jammerte weiter. Ohne sein Dengeln zu unterbrechen, versetzte ihm der andere einen Fußtritt und stimmte wieder seinen Gesang an: »Kommet pfuhauf, Pfalter und Harfe wacht auf, laffet den Lobgefang hören.« Es war ein näselnder, grotesker Gesang und der Kommissar erinnerte sich wieder an die Hasenscharte des jungen Mannes mit der Tonsur, den er zum ersten Mal in der LVA gesehen hatte.
    Kluftinger konnte sich als erster aus der Erstarrung lösen. Vielleicht waren es die letzten Verse, die ihn endlich wieder zum Herrn der Lage machten. Sie würden zuhauf kommen, aber was diese Gestalt erwartete, war nicht der Lobgesang von Psaltern und Harfen.
    »Geh du linksrum, an den Büschen vorbei. Kümmere dich um Möbius, ich nehm … «, er wollte »den Sensenmann« sagen, schreckte aber vor dem Wort zurück und fuhr fort, » … Hartmanns Sohn! Zugriff auf mein Zeichen.«
    Leise pirschte er sich von hinten an die dunkle Gestalt heran. Ein Blick zu Hefele zeigte ihm, dass der bereits in Position war. Er selbst war ebenfalls nur noch zehn Meter von dem Felsen entfernt. Er schloss die Augen, atmete tief durch

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