Erntedank
Schilderung des letzten Puzzleteilchens zu überlassen. Dankbar fuhr der fort: » … dieser Bauer aus Stein, der angerufen hat, dass er in einer Mordnacht diese komischen Geräusche gehört hat. Als würde jemand eine Sense dengeln.« Kluftinger nickte ihm zu.
Unter ungläubigem Kopfschütteln lenkte Maier das Auto an den Straßenrand. Dann räusperte er sich und sagte voller Bewunderung: »Ihr seid der Hammer!«
Doch Kluftinger wollte davon nichts hören: »Das kannst du sagen, falls wir noch nicht zu spät gekommen sind«, wandte er ein und lenkte damit die Aufmerksamkeit seiner Kollegen wieder auf das Auto vor ihnen.
Maier schaltete die Scheinwerfer aus und sie verließen langsam den Wagen.
»Ich hab schon gedacht, ich kann gar nix mehr!«, seufzte der Kommissar.
Wortlos zogen sie ihre Waffen und näherten sich dem Kombi. Die rechte hintere Klapptür war angelehnt, Kluftinger riss sie ruckartig auf, die Waffe in der rechten Hand. Während Hefele seinen Vorgesetzten mit entsicherter Pistole Deckung gab, leuchtete Maier mit einer großen Taschenlampe in den Laderaum. Wie sie erwartet hatten, war er leer, ebenso die Fahrerkabine. Lediglich ein paar schmutzige Decken lagen als Knäuel auf der Ladefläche. Kluftinger winkte Maier mit der Taschenlampe näher heran, hob eine der Decken auf und betrachtete sie. »Blut!«, war alles, was er sagte.
»Richard, bleib du hier beim Auto. Pass aber auf, vielleicht kommt er. Gib per Funk durch, dass sie mit ein paar Wagen kommen. Und sag, dass sie leise sein sollen. Zugriff erst, wenn wir das Kommando dafür geben.«
Kluftinger, dessen Herz bis zum Hals pochte, war absolut konzentriert. Seine Kollegen wussten, dass er in solchen Situationen funktionierte wie ein Schweizer Uhrwerk.
»Komm«, sagte er zu Hefele, der ihm mit gezogener Waffe folgte. Leise bewegten sie sich auf die Bäume zu, hinter denen sich auf einer kleinen Lichtung der Dengelstein befand, ein riesiger Findling, den die letzte Eiszeit hier zurückgelassen hatte. Die Taschenlampe ließen sie sicherheitshalber aus; das Mondlicht musste genügen. Keiner wusste, was sie in der Dunkelheit vor ihnen erwarten würde.
***
Als die Nacht seine Kollegen endgültig verschluckt hatte, setzte Maier den Funkspruch ab und bewegte sich mit wackeligen Knien wieder auf den weißen Lieferwagen zu. Er lauschte auf jedes Knacken im Wald. Dieser Platz war ihm ohnehin unheimlich, seit er wusste, dass hier keltische Blutopfer- und Gerichtsriten stattgefunden hatten. Nun, im Halbdunkel des Mondscheins, schien jeder Baum, jeder Busch ein frühzeitlicher Häscher zu sein, der jeden Moment auf ihn zustürzen konnte, um ihn oben auf dem Dengelstein zu schlachten. Maier versuchte sich zu beruhigen, indem er fast lautlos eine Melodie summte. Er entschied sich für »Moonriver« – etwas Besseres war ihm nicht eingefallen.
Plötzlich erstarrte er. Sein Mund wurde trocken und er bekam kaum noch Luft. Er riss seine Augen weit auf: Schritte! Er hörte eindeutig Schritte. Leise, aber deutlich nahm er das Knirschen von Schuhen auf dem Kiesweg wahr. Es waren keine hastigen, schnellen Schritte, eher bedächtige. Als schleiche sich jemand heran. Dann hielt er den Atem an: Es waren zwei Menschen, die da langsam durch den Wald schlichen, da war er sicher.
Was sollte er tun? Die beiden Kollegen sah er nicht mehr, Funkgeräte hatten sie keine mitgenommen. Sicher, er hatte Schulungen hinter sich, wo er das Verhalten in solchen Fällen theoretisch gelernt hatte. Aber hier, mitten in der Dunkelheit des Waldes
– würde er diese Kenntnisse anwenden können?
»Überblick verschaffen … «, murmelte er mechanisch vor sich hin. »Unbedingt Überblick verschaffen und Schrecksekunde nutzen.« Noch immer hörte er deutlich die langsamen Schritte, bildete sich ein, dass sie immer lauter wurden. Kamen sie auf ihn zu? Dann fällte Maier eine Entscheidung. Er hob seine Taschenlampe und richtete sie auf den Waldweg. Seinen Finger legte er auf den Einschaltknopf, die Waffe in der anderen Hand zielte in die gleiche Richtung. Vielleicht würde es ihm so gelingen, die Täter zu überraschen. Er schaltete das Licht ein.
***
Nur am Rande nahmen Kluftinger und Hefele den schwachen Lichtschein hinter sich wahr. Obwohl sie langsam gingen, atmeten sie schwer. Jeder ihrer Schritte, die sie mit Bedacht setzten, um nicht zu viel Lärm zu machen, brachte sie tiefer in das ungewisse Dunkel der Nacht – und damit näher zum Dengelstein. Sie waren nicht mehr
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