Erntemord
furchtbare Kreationen erinnern. Jene Vogelscheuchenmonster, die er damals, als sie noch jung gewesen war, für den jährlichen Vogelscheuchen-Wettbewerb erschaffen hatte. Bis er sich seinen Traum erfüllte und nach Hollywood ging, um echte Monster für Filme zu entwerfen.
Doch es waren nicht Eric Rolfes künstlerische Bemühungen, die ihr jetzt Angst machten.
Es war der Traum, den sie wieder und wieder durchlebt hatte und der sie im tödlichen Würgegriff der Angst hielt.
Sie konnte nicht hinsehen. Nicht wenn sie so viel Angst hatte, dem Horror aus ihren Träumen gleich in der Realität gegenüberzustehen.
Es ist nur eine Vogelscheuche auf dem Feld, sagte sie sich. Kein Monster, kein verfaulender Körper, den man an Latten gebunden hatte. Nur eine Vogelscheuche.
Sie atmete tief ein, atmete aus. Sagte sich, dass sie irrational war.
Und sagte sich dann das Gegenteil, denn die Angriffe der Krähen waren alles andere als rational und normal gewesen.
Doch letztlich spielte es keine Rolle, was sie sich sagte, ob sie sich für vernünftig oder unvernünftig hielt. Sie konnte sich einfach nicht überwinden, aufzuschauen. Stattdessen starrte sie auf den Boden und begann unwillkürlich zu beten.
Nein, nein, nein. Bitte, lieber Gott, lass es nicht real sein. Bitte lass es nicht real sein …
Furcht und eine böse Vorahnung erfassten sie und verwandelten ihr Blut in kaltes Eis. Sie versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen, indem sie sich sagte, dass Eric Rolfe und all seine Helfer inzwischen erwachsen waren. Der Wettbewerbwar im Laufe der Zeit vergessen worden, und so gab es keine Kinder mehr, die ihre Freunde erschrecken wollten, indem sie Monster aus Stroh bastelten, die sich über die Maisfelder erhoben.
Was auch immer jetzt bei ihr im Maisfeld war, war nur eine Vogelscheuche und nicht mehr.
Nur eine Vogelscheuche.
Sie musste aufsehen.
Kurz bevor sie in das Feld gerannt war, hatte sie einen Wagen gesehen. Jeremy war gekommen. Sie musste aufstehen und ihn begrüßen, oder er würde glauben, dass sie wirklich den Verstand verloren hatte. Doch sie fühlte sich wie erstarrt. Vor ihrem inneren Auge konnte sie die Vogelscheuche schon sehen.
Sie würde aufschauen, und die Vogelscheuche würde den Kopf heben.
Aus ihren leeren Augenhöhlen würde sie sie böse anstarren. Der Kopf würde ein Schädel sein, mit verfaulendem, schwarzem Fleisch, das in Fetzen von den Wangenknochen hing. Und während sie hinsah, würde eine der Krähen darauf landen und an dem einst lebenden Fleisch picken.
Was von dem Mund übrig war, würde sich in einem letzten stillen Schrei öffnen. Der aufgeblähte Körper wäre von einem alten Mantel bedeckt, durch dessen Risse überall die Knochen ragten.
Und dann würde sie Gelächter hören, weil der Dämon, der die Leiche für sie in dem Maisfeld ausgestellt hatte, sie irgendwie sah und über ihren Schrecken lachen würde. Und dann würde die Leiche anfangen zu weinen, und die Tränen wären Blut, während die fauligen Knochenfinger zuckten und nach ihr griffen …
„Rowenna!“
Jeremy, dachte sie in plötzlicher Erleichterung.
Erleichtert atmete sie tief ein und lachte fast über ihre eigene Dummheit.
Dann hob sie den Kopf.
Und sah die Vogelscheuche.
Der Mund stand in einem stummen Schrei des Terrors offen. Die Augen bestanden aus eingesunkenen Höhlen, die voller Qual in die Welt zu blicken schienen. Schartige Knochen ragten aus dem von den Krähen blutig zerpickten Fleisch und aus den Rissen des Mantels, der den Körper verhüllte, den jemand hier im Feld ausgestellt hatte. Das schwarze Haar unter dem lächerlichen Strohhut wehte in der Brise, soweit es nicht in blutigen Strähnen über dem klebte, was einmal ein Gesicht gewesen war.
Sie starrte das Bild mit solch verblüfftem Entsetzen an, dass sie unwillkürlich den Mund öffnete, sich ihrer Kehle jedoch kein Schrei entrang. Ihr Blut gerann, und ihr wurde schlecht.
„Rowenna!“
Wieder Jeremys Stimme.
Und dann hörte sie eine andere Stimme, doch rief diesenicht ihren Namen, sondern stieß einen endlos schluchzenden Schrei aus. „Oh Gott! Oh Gott! Oh Gott!“
Sie drehte sich um und sah, wie Brad Johnstone auf die Knie fiel und angesichts des geschundenen Körpers zusammenbrach.
7. KAPITEL
Jeremy war wie paralysiert.
Rowenna, kreidebleich und den Mund zu einem tonlosenSchrei aufgerissen, starrte die tote Frau an.
Und dann war da Brad, zusammengebrochen auf dem Boden, schluchzend.
Und nicht zuletzt der grauenhafte
Weitere Kostenlose Bücher