Ernten und Sterben (German Edition)
Schweinen. Das sind doch die entscheidenden, die positiven Seiten des Landlebens. Gutes bewahren und Schönes entdecken, Traditionen erhalten und pflegen.«
»Du redest wie ein Tourismusmanager. Aber die Realität sieht doch ganz anders aus. Denk nur an den Bauern Piepenbrink, der seinen Betrieb komplett auf Rapsanbau umgestellt hat, um mit Biosprit reich zu werden. Oder an den feinen Matze Hansen. Der Herr Kreistagsabgeordneter will den Durchgangsverkehr mit über hundert Lkws am Tag über die Hauptstraße leiten, weil sein Bruder Fuhrunternehmer ist. Und im Dorf herrschen Neid und Missgunst wie überall sonst auf der Welt. Du bist ein unverbesserlicher Optimist. Ein Zugereister halt«, schloss Egon-Erwin.
»Ja, vielleicht hast du recht. Und jetzt hab ich Hunger und hau mir was in die Pfanne. Komm morgen um elf vorbei, dann gehen wir rüber zu Albertine. Vielleicht spielt sie ja mit.« Hubertus trennte die Verbindung und warf das Mobiltelefon auf den Schreibtisch.
Wenige Meter entfernt in Albertines Haus war die Stimmung auf dem Nullpunkt.
»Sie haben zu viel gekocht, Clementine. Auch wenn die Heidschnucke wirklich ein Gedicht ist, gehört doch zu so einem Essen eine gesellige Runde.«
»Sie haben mit Ihrem Geständnis doch Herrn Hubertus vertrieben und ihn vor den Kopf gestoßen«, sagte Clementine.
»Ja, und es tut mir inzwischen auch ein wenig leid. Aber immer noch besser so, als dass Ole es ihm in einer Bierlaune erzählt hätte. Aber jetzt genug Trübsal geblasen. Machen Sie mir bitte einen Pfefferminztee aus unserer letztjährigen Ernte«, sagte Albertine und fügte bedeutungsschwanger hinzu: »Genießen wir die Ruhe vor dem Sturm.«
Wieder setzte langsam die Dämmerung ein. Im »Bärenkrug« war kein Tisch mehr frei, und am Tresen drängten sich die Dorfbewohner. Lauthals und heftig wurde diskutiert: über den Mordfall, die Zugereisten und vor allem über den Bildhauer, der diesmal wohl etwas zu weit gegangen war.
»Dem sollte man mal eine ordentliche Abreibung verpassen«, knurrte Gunnar und knetete ein Bierglas mit seinen Pranken so, als wollte er es erwürgen. »Das hat mit Kunst so viel zu tun wie ein Haufen Pferdemist auf dem Teller von dem Möchtegern-Koch da drüben.«
»Lass Sören in Ruhe, der stammt schließlich aus Klein-Büchsen. Er hat die Welt gesehen und tut was für den Tourismus«, sagte Matze Hansen.
»Na klar! Und du Idiot tust was für den Lastwagen-Tourismus. Ihr Feierabend-Politiker seid doch zu blöd, um geradeaus zu pinkeln«, ätzte Gunnar.
»Und du bist zu blöd, ein Pferd zu beschlagen. Die werden doch in deiner Klitsche allesamt zu Fällen für den Abdecker. Ich erinnere nur an Little Sunshine. Der Gaul hätte beim Dressurreiten alles gewinnen können, und nun ist er in der Wurst. Die Tochter vom Bürgermeister hat nie eine Entschädigung gesehen, geschweige denn eine Entschuldigung. Dabei hat das Pferd gelahmt, nachdem es von dir beschlagen wurde. Wahrscheinlich ist dir als Kind ein Hammer auf den Kopf gefallen. Ich tu wenigstens was für die Gemeinschaft, während du dich hier ständig volllaufen lässt.« Hansen redete sich mächtig in Rage.
»Halt die Klappe, sonst knallt’s«, stieß Gunnar hervor. Er trat einen Schritt vom Tresen zurück und hob streitlustig die Fäuste.
Blitzschnell schob sich Ole zwischen die Streithähne, um eine Schlägerei zu verhindern. Doch Gunnar sah rot und landete einen Jab auf der rechten Gesichtshälfte des Gastwirts, der daraufhin Sterne sah und zu Boden ging.
»Du bist ja völlig durchgeknallt«, schimpfte Matze, der Ole wieder auf die Beine half. »Entschuldige dich wenigstens diesmal.«
»’tschuldigung«, raunte Gunnar kleinlaut und schwankte aus der Gaststube.
Doch er landete nicht im heimischen Bett, sondern im Straßengraben. Stunden später wurde er von einer Polizeistreife entdeckt, und man war froh, dass er noch alle Gliedmaßen am rechten Platz hatte. Das war der letzte Einsatz für die Beamten, die sich mit ihren Kollegen am Ortsausgang zur Schichtübergabe verabredet hatten.
»War nichts weiter. Außer einem blauen Auge in dieser Bierkneipe und einem Besoffenen, den wir aus dem Straßengraben gekratzt haben. Ich glaub, hier herrscht die reine Inzucht. Das sind alles grenzdebile Landeier«, lästerte der eine, während seine Kollegen nur schief grinsten.
Ganz in der Nähe wohnten Gerda und Siegfried Aurich. Sie hatten bereits vor vielen Jahren die Dorfschule gekauft. Der klobige Kasten aus der Gründerzeit strahlte
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