Ernten und Sterben (German Edition)
Landeszeitung völlig unterschiedlich aus. Kommissar Blaumilch griff sofort zum Hörer seines Diensttelefons und überschüttete den Herausgeber der Landeszeitung mit ausgesucht üblen Schimpfworten. Wobei »Schmierenjournaille« noch die harmloseste Äußerung war.
Der Herausgeber John Wichhorst beglückwünschte wenig später seinen Redaktionsleiter, der daraufhin kein gutes Haar an Egon-Erwin Wutke ließ, weil der kein Foto von den Tatverdächtigen geschossen hatte.
Egon-Erwin wiederum hatte sich die komplette Medienmeute vor dem Haus von Albertine von Krakow zum Feind gemacht. Also legte er umgehend den Rückwärtsgang ein, als er sah, wie das halbe Dorf vor der Praxis Schlange stand, um irgendwelche eingebildeten Zipperlein behandeln zu lassen. Das bot den lauernden Journalisten ausreichend Gelegenheit, die wartenden Patienten mit Fragen nach Albertine und Hubertus zu bombardieren.
Egon-Erwin strich über seinen bereits in die Jahre gekommenen Dreitagebart und beschloss, ihn erst dann wieder zu stutzen, wenn er den Fall aufgeklärt hatte und zum Starreporter einer überregionalen Boulevardzeitung aufgestiegen war. Also machte er sich auf den Weg in die »Heideblume«.
Das Landgasthaus wurde von Sören Severin geführt, der als verlorener Sohn des Ortes die Welt bereist und in der Spitzengastronomie Karriere gemacht hatte, bevor er zu seinen familiären Wurzeln zurückfand. Trotzdem war er sich nicht zu schade, ein deftiges Frühstück zu servieren.
»Moinsen«, sagte Egon-Erwin, als er den geschmackvoll designten Schankraum betrat. Nur Innenarchitekten wäre aufgefallen, dass es sich um ein Gesamtkunstwerk im Retrolook handelte.
Sören, ein hochgewachsener Typ mit strohblondem Haar und unbestimmbarem Alter, nickte nur lässig und verschwand sofort in die Küche. Sein »Holsteiner Fischerfrühstück« hatte einen legendären Ruf, deckte den kompletten Kalorienbedarf für einen Tag und konnte nur zusammen mit einem Köm verdaut werden. Die Kanne Tee diente ausschließlich als Alibi.
»Hier ist dein Alki-Tee. Den wirst du ja jetzt öfters trinken müssen oder deine Informanten ans Messer liefern.« Sören legte Egon-Erwin die aktuelle Ausgabe seiner Zeitung zum Tee auf den Tisch. »Polizei tappt im Dunkeln. Die Messermorde von Klein-Büchsen als Gesamtkunstwerk: Da kann Jack the Ripper sich eine Scheibe von abschneiden«, las er laut vor und betonte jede Silbe wie ein Kirmesausrufer.
»Hör mit dem Quatsch auf. Das ist doch von mir«, murrte Egon-Erwin und stocherte lustlos in seinem Labskaus herum.
»Unsere fünf Gästezimmer sind für die nächsten Tage ausgebucht. Und was passiert dann? Wird dieser wunderschöne Ort zum attraktiven Reiseziel für Psychopathen aller Art, oder eröffnet die Yakuza demnächst bei uns eine Filiale? Du solltest etwas mehr Fingerspitzengefühl an den Tag legen. Denn wie heißt es so schön: Wie man in den Wald ruft, so schallt es hinaus? Und falls dir der Labskaus nicht bekommt, könnte das an den Kräutern liegen«, sagte Sören.
Bei der Vorstellung, wie Anna Christensen Bärenklau in den Labskaus rührte, verging Egon-Erwin endgültig der Appetit. Die Lebensgefährtin von Sören sah aus wie eine ewig junge Kräuterhexe mit einem Faible für Gothic-Klamotten, das Gesicht weiß wie Schnee geschminkt, die Haare pechschwarz gefärbt, dazu mehr oder weniger dezente Piercings. Anna betrieb überaus erfolgreich einen Kräuter-Bauernhof, dessen getrocknete Erzeugnisse bis nach Japan verschickt wurden.
»Vergiss nicht, dass ich auch der Gastrokritiker der Region bin … Mehr muss ich wohl nicht sagen.« Egon-Erwin versuchte sich in einem verbalen Gegenangriff. Doch Sörens unerschütterliches Haifischgrinsen gab ihm den Rest. Also legte er einen Zwanziger auf den polierten Tisch und tippte an einen imaginären Hut. »See you later, alligator.«
Vor der Tür der »Heideblume« zündete er sich eine filterlose Zigarette an. Das Zentrum von Klein-Büchsen war im Grunde nicht viel mehr als eine Durchgangsstraße. Direkt gegenüber residierte Ole Fuhlendorf in seiner Kneipe »Der Bärenkrug«. Die Spezialität des Hauses war das selbst gebraute naturtrübe Vollbier. Hier trafen sich Honoratioren wie der Bürgermeister und der Schützenkönig zum täglichen Stammtisch. Aber auch urige Originale wie Gunnar der Hufschmied kehrten hier regelmäßig ein. Gunnar war besonders und vor allem weiblichen Zweibeinern zugetan, die es schrecklich romantisch fanden, ihren Pferden neues Schuhwerk
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