Ernteopfer
Paradies für die Forscher, wie ein offenes Buch gewissermaßen. Aus den Spuren der Abfälle kann man herauslesen, was die Menschen damals aßen, welche Tiere sie sich hielten und noch vieles mehr.«
»Was passiert denn, wenn jemand in seinem Garten beim Rasenanlegen Scherben findet und diese beispiels weise aus der Bandkeramik stammen?«, fragte ich mal ganz naiv drauf los.
Von Balleton schaute mich abschätzend an.
»Das müssten Sie natürlich sofort melden, dazu sind Sie verpflichtet. Da werden manchmal recht hohe Strafen fäl lig, wenn man so etwas verheimlicht. Aber ich muss zuge ben, das kann einen ganz schön in die Bredouille bringen. So war es damals auch in Fussgönnheim.«
»Wieso? Was ist dort passiert?«
»Eine eigentlich ganz typische Geschichte. Ein Landwirt wollte auf seinem Acker eine neue Halle bauen. Die Bauge nehmigung war kein Problem. Doch kurz nachdem die Bag ger angerollt waren, um Platz für das Fundament zu schaf fen, wurde dieser Brunnen entdeckt. Die Baufirma hat sich korrekt verhalten und den Fund sofort gemeldet. Sofortiger Baustopp war die Folge. Und jetzt kommt das eigentlich Un faire an der ganzen Sache. Die Baustelle durfte erst nach der Sicherstellung der Funde wieder freigegeben werden.«
»Ja, und weiter? Wie lange verzögert sich dann so et was im Normalfall?«
»Die Bergung der Fundstücke war nicht das eigentliche Problem, das hatte man in zwei Monaten geschafft.«
»Das verstehe ich nicht. Waren diese zwei Monate für den Landwirt existenzbedrohend?«
»Nein das nicht, aber der Etat war bereits erschöpft.«
»Welcher Etat?«
»Der Landesetat für Ausgrabungen. Gewöhnlich ist der immer mindestens drei Jahre im Voraus voll verplant.
Können Sie sich denken, was das für den Eigentümer be deutete?«
»Wahnsinn. Das heißt also, dass der Landwirt drei Jah re warten musste, bis Geld für die Ausgrabung bereitge stellt wurde.«
»Mindestens drei Jahre, je nachdem, welche Wichtig keit der Fund hat.«
»Hat der Landwirt das überlebt? Finanziell, meine ich?«
»Na ja, wie man es nimmt. Er hat die Ausgrabung selbst finanziert. Das kostete ihn schlappe 30.000 Euro.«
Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
»Bekommt er das Geld denn wenigstens irgendwann zurück?«
»Mit ein bisschen Glück kann das in ein paar Jahren durchaus sein. Selbstverständlich unverzinst und ohne Garantie.«
»Das sind ja die reinsten Horrorgeschichten, die Sie da erzählen. Da muss man sich nicht wundern, wenn jemand versucht, einen Fund zu verheimlichen.«
»Sie haben vollkommen recht. Es wird geschätzt, dass rund 80 Prozent aller Funde verheimlicht werden. Und dann gibt es natürlich noch andere Dinge. Zum Beispiel dem unliebsamen Nachbarn mal eben nachts ein paar Scherben in die Baugrube werfen oder so. Am schlimms ten sind aber manche Wissenschaftler selbst.«
»Klären Sie mich darüber auf?«
»Es gibt einige meiner Kollegen, die zu Hause im stillen Kämmerlein ihre eigene Privatsammlung pflegen, anstatt sie der Allgemeinheit zu Forschungszwecken zur Verfü gung zu stellen. Es wird geschätzt, dass rund 15 Prozent aller Funde nie offiziell registriert werden.«
»Und was bringt das?«
Von Balleton sah mich an, als würde er mit einem nai ven Jungen sprechen.
»Was das bringt? Persönliche Befriedigung! Wie bei Kunstobjekten. Das Wissen, dass man das einzige Original besitzt und es mit niemanden teilen muss.«
»So was Verrücktes«, entgegnete ich ihm.
»Manchmal kommen solche Unterschlagungen erst im Erbschaftsfall zutage. Das heißt, wenn die Erben die Wich tigkeit der Dinge sehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass historische Funde im Bauschutt oder in der Mülltonne landen. Wir hatten schon mal den Fall, dass ein Grabungs leiter bewusst einen zufälligen Fund aus einer ganz anderen Epoche verheimlicht hat, damit die eigentliche Grabung nicht eingestellt wurde.«
Nachdem er nachdenklich mehrmals genickt hatte, fuhr er fort.
»Auch wenn es kein Mensch vermuten würde, die Gra bungsforschung glänzt durch gierige persönliche Berei cherung, politische Intrigen, Kompetenzwirrwarr und das alles gepaart mit viel zu geringem Forschungsetat. Sie können sich denken, dass dies äußerst ungünstige Vor aussetzungen sind.«
Mir platzte beinahe der Schädel. Statt einer klaren ein deutigen Antwort auf die Frage, warum Professor Mül ler den Fund verheimlichte, hatte ich jetzt gleich mehrere Antworten zur Auswahl. Aber auch wenn die möglichen Antworten nicht gutzuheißen waren,
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