Ernteopfer
auf, prüfte meine oberflächlichen Verletzun gen und begrüßte alle drei.
»Hallo, das ist ja das reinste Überfallkommando!«
»Guten Abend, Herr Palzki«, begrüßte mich meine Nachbarin. »Ihre arme Frau scheint im Moment ja wirk lich arg im Stress zu stehen. Laufend ist bei ihr was los. Ich kann Ihnen da nur einen Tipp geben, gewissermaßen von Frau zu Mann: Kümmern Sie sich mehr um Ihre Kinder. Nehmen Sie Paul und Melanie öfters mal an Ihren freien Wochenenden zu sich. Ich meins nur gut.«
Ich kann nicht verheimlichen, dass ich in diesem Mo ment an Stephen King dachte und mir überlegte, welche grausame Tötungsart er sich wohl für seine geschwätzige Nachbarin ausgedacht hätte.
»Ja danke, Frau Ackermann. Ich hoffe, Sie hatten keine allzu großen Umstände. Ich wusste ja noch nicht einmal, dass die Kinder da sind.«
»Das ist aber komisch, ihre Frau sagte mir noch, dass sie Ihnen telefonisch Bescheid geben würde.«
»Ach so, ja natürlich, sie hat auf den Anrufbeantworter gesprochen. Den habe ich aber erst vor einer Minute abgehört. Meine Frau konnte mich heute Mittag nicht erreichen, ich war bei einem wichtigen Termin und hatte deshalb mein Handy ausgeschaltet.«
Ich verriet ihr nicht, dass mein Privathandy immer noch unbeachtet und ausgeschaltet im Handschuhfach lag. Zu mindest der Akku war aber wieder voll.
»Ist schon gut, Herr Palzki. Die Schulsachen haben Ihre Kinder gleich mitgebracht. Hier ist noch eine Ta sche mit den Kleidern. Ihre Frau meinte, Sie würden sie bestimmt morgen früh Punkt 8 Uhr nach Ludwigsha fen zur Schillerschule fahren. Irgendwie seltsam, aber das mit Punkt 8 Uhr hat sie ausdrücklich und mehrmals betont.«
Ich nickte ergeben. Gegen so viel verbale Frauenpower konnte ich nicht ankommen.
»Zu essen brauchen Sie den beiden heute Abend nichts mehr zu richten. Der Gemüseauflauf hat ihnen vorzüglich geschmeckt.«
Während Paul und Melanie sich im Wohnzimmer bereits um die Fernbedienung stritten, versuchte ich, Frau Ackermann loszuwerden, was mir nach ungefähr 500 weiteren Worten ihrerseits gelang. Ich nahm mir vor, den Kindern uneingeschränkte Fernsehvollmacht zu erteilen und mich ein wenig ins Schlafzimmer zu rückzuziehen.
»Papa, machst du uns was zu essen?«
Ich atmete tief durch und überlegte, ob es sich hier wirklich um meine Kinder handelte.
»Ich habe gedacht, dass ihr gerade drüben bei Acker manns gegessen habt?«
»Ach das«, erwiderte mein Sohnemann.
»Das war doch alles nur Scheißdreck, Alter!«
»Wie bitte?«
»Lass ihn Papa, das hat er vorhin im Fernsehen gehört. Herr Ackermann hat mit uns einen Film angeschaut, die haben dort alle so doof gesprochen.«
Ich verzichtete darauf, näher auf das Thema einzugehen, und lief in den Keller, um die letzten beiden Tiefkühlpiz zen aus dem Gefrierschrank zu holen.
Eine knappe halbe Stunde später aßen die beiden mit Genuss und ohne Besteck ihre Pizza aus der Hand.
»Darf ich euch mal für eine Viertelstunde alleine lassen? Ich müsste mal schnell an die Tankstelle fahren.«
»Okay Daddy, wir kommen schon klar«, tönte meine Tochter großspurig.
»Bring noch eine Buddel Cola mit.«
»Wenn du nicht brav bist, Melanie, gibts ab sofort bei mir nur noch Fencheltee!«
»Haha, selten so gelacht. Mama hat mal erzählt, du wüsstest gar nicht, wie man Tee kocht.«
Man muss wissen, wann man ein Gespräch abbrechen muss. Jetzt.
Minuten später hielt ich an der Tanke und erstand zwei Päckchen vorgebackene Brötchen, die ich morgen früh nur noch in den Backofen schieben musste. Die Bedie nungsanleitung las sich leicht verständlich. Da ich da heim von den Pizzen erwartungsgemäß nur noch die ver schmierten Teller vorfinden würde, ergänzte ich meinen Einkauf mit einer Handvoll Energiespender in Schoko riegelform. Auf der kurzen Rückfahrt hatte ich mir be reits drei dieser Stangen in die Speiseröhre geschoben und damit meinem Magen mal wieder eine echte Herausfor derung zugemutet.
Die beiden hatten in der Zwischenzeit ganze Arbeit ge leistet und die getarnten Pizzakalorien restlos verputzt.
»Papa, wir wollten dir helfen und die Teller in den Ge schirrspüler einräumen, dort war aber leider kein Platz mehr.«
Müde winkte ich ab und schickte sie zum visuellen Nachtisch ins Wohnzimmer an den Fernseher.
Ich ging ins Arbeitszimmer und rief Gerhard an.
»Servus Gerhard, ich bins, Reiner. Gibts was Neues von der Front?«
»Ja, wo steckst du denn den ganzen Tag? Stefanie hat sich gemeldet,
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