Ernteopfer
Selbst für Schulwege von wenigen 100 Metern werden die Famili enkutschen angeworfen, um dann nach kürzester Zeit im schulischen Verkehrschaos stecken zu bleiben. Natürlich war das Gemeckere immer groß, wenn alle Parkplätze im Umkreis von 200 Metern um die Schule bereits besetzt waren. Die Schuld hatten immer die anderen. Rücksichts los wurden Zebrastreifen und Gehwege zugeparkt. War ja nur für ein paar Minütchen. Hauptsache, das eigene Kind kommt wohlbehalten in Mutters Schoß zurück. Wir Er wachsenen taugen halt im Regelfall nicht zu einem Vorbild für unsere Kinder. Ich fuhr direkt bis zum Haupteingang und motzte eine überholende Mazdafahrerin an, die mir in der engen Gasse fast den Außenspiegel abgerissen hätte. Da ich in dem Moment Paul und Melanie aus dem Ge bäude kommen sah, übersah ich geflissentlich die schraf fierten Linien und das absolute Halteverbotsschild. Die paar Autos hinter mir würden wohl ein paar Sekunden warten können, dachte ich mir und überhörte zusätzlich das vielstimmige Hupen. Provozierend langsam stieg ich aus und begrüßte meine Kinder.
Nachdem meine Kinder ihre Taschen im Kofferraum verstaut hatten und eingestiegen waren, fuhren wir los.
»Papa, warum hat die Frau da hinter uns so laut ge schrien?«
»Keine Ahnung, Melanie. Ich glaube nicht, dass die uns gemeint hat.«
Bevor Paul mir seine neuesten Errungenschaften er zählen konnte, fragte ich die beiden nach ihren Wünschen betreffs einer Nahrungsaufnahme.
»Auf was hättet ihr denn Lust?«
»Pizza!«, schrie Paul und Melanie nickte.
»Aber das haben wir doch erst gestern gegessen.«
»Macht nichts, Papa. Pizza mit Pommes kann man im mer essen.«
»Mit Pommes?«
»Aber nur wenn viel Mayo drauf ist.«
Ich nickte ergeben. Um die Wartezeit zu verkürzen, rief ich vom Privathandy meinen Stammservice ›Caravella‹ in Schifferstadt an und bestellte drei Pizzen mit allem Mögli chen drauf, nur ohne Fisch, sowie drei Portionen Pommes mit Mayo. Als wir dort ankamen, waren unsere Edelmenüs so gut wie fertig. Ich musste ein größeres Machtwort spre chen, um eine Vertilgung bereits im Auto zu verhindern.
Daheim reichte die Zeit gerade noch, um die Schuhe auszuziehen und die Taschen in die Ecke zu werfen. Ich machte eine neue Packung Apfelsaft auf und bediente Paul und Melanie. Wie leicht man doch Kinder glücklich ma chen konnte. Das Strahlen ihrer Gesichter war mir Beloh nung genug. Ich wusste, Stefanie würde das anders sehen. Sie brauchte aber schließlich auch nicht alles zu wissen. Es klingelte an der Haustür. Wieder die Ackermann, stöhnte ich vor mich hin und öffnete in Erwartung einiger tau send Wörter.
»Hallo Reiner«, begrüßte mich Stefanie.
»Du hier?«
Verblüfft schaute ich sie an.
»Mit dir habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet, äh, hallo erst mal. Komm doch rein.«
Verwirrt ließ ich Stefanie eintreten.
»Was macht deine Mutter? Wieso bist du hier?«
»Keine Angst, es ist nichts passiert. Sie fühlt sich wieder etwas besser. Ich habe sie mit zu mir nach Ludwigshafen genommen. Es ist zwar ziemlich eng in der Wohnung, aber es wird schon irgendwie gehen.«
Wollte mir Stefanie vielleicht gerade suggerieren, dass ich ihre Mutter beherbergen sollte? Nein, das würde sie mir nicht zumuten. Und ihrer Mutter wahrscheinlich erst recht nicht.
»Wo sind denn Melanie und Paul?«, erkundigte sie sich vorsichtig nach unseren Kindern.
»Die sitzen brav in der Küche und essen gerade zu Mit tag.«
»Wow, du wirst doch nicht etwa für die Kinder ge kocht haben?«
Stefanie ging in Richtung Küche und ich hielt meinen Mund.
»Hallo ihr beiden«, begrüßte sie Melanie und Paul.
»Schmeckts euch?«
»Hallo Mama! Es ist schön bei Papa. Wir waren gestern Abend ganz lange auf«, prahlte Paul.
»Soso«, antwortete sie mehrdeutig. »Und wie ich sehe, seid ihr nicht verhungert.«
»Das ist schon das zweite Mal, dass wir Pizza haben«, ritt mich Melanie unwissend noch tiefer in den höllischen Abgrund.
»Na, dann esst mal fertig, dann nehme ich euch wieder mit. Die Oma ist auch da.«
Stefanie wandte sich wieder mir zu.
»Und, was hast du mit ihnen alles angestellt? Irgendeine Geiselnahme oder wüste Schießereien?«
»Na, nun übertreib mal nicht so. Ich habe die Kinder erst gestern Abend bei Frau Ackermann aufgelesen und den ganzen Abend mit ihnen verbracht. Und heute Mor gen waren sie ja in der Schule.«
»Ach, in der Schule waren sie also«, entgegnete sie sar kastisch.
»Was soll das,
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