Eroberer
nur helfen, den Mönchen ein paar Bücher zu verkaufen. Du hast deine eigenen Pläne; irgendetwas willst du auf Lindisfarena. Habe ich recht? Und unsere Begegnung war für dich eine zufällige Gelegenheit, diese Pläne zu verwirklichen.«
Macson grunzte. »Eine zufällige Gelegenheit? Wenn man so lange gegen eine verschlossene Tür drückt, bis sie aufspringt, würdest du das dann als Zufall bezeichnen? Ja, ich will etwas auf Lindisfarena. Aber vielleicht wirst auch du davon profitieren können, Belisarius.«
Er erzählte Belisarius die Geschichte von Sulpicia, seiner Ahnfrau, die in den Norden gekommen war – »sie ist irgendwo an der Linie des Walls gelandet, niemand weiß mehr, wo, vielleicht sogar hier« – und die in einen Streit zwischen einem Nordmann und einem Germanen über ein seltsames Dokument mit dem Titel »Das Menologium der Isolde« verwickelt wurde.
»Vergiss nicht, ich erzähle Familiensagen, die von Sklaven bewahrt worden sind – obendrein von Sklaven, die weder lesen noch schreiben konnten. Dieses Menologium war so eine Art Prophezeiung. Es gehörte einem alten Briten. Und es hatte bereits begonnen, sich als richtig zu erweisen, war bereits wahr geworden . Das ist der entscheidende Punkt. Nun, der
Nordmann und der Germane kämpften miteinander. Der Nordmann tötete den alten Mann – vielleicht war es auch der Germane –, und der Germane – oder der Nordmann – vergewaltigte Sulpicia und schwängerte sie. Gemeinsam stahlen sie die Prophezeiung, und die verlassene, schwangere, entehrte Sulpicia musste sich und ihr ungeborenes Kind in die Sklaverei verkaufen.«
Belisarius nickte. »Aber es war nicht deine Ahnfrau, der diese Prophezeiung gestohlen wurde. Der arme alte Mann war das Opfer dieses Verbrechens.«
»Er war Brite, ebenso wie Sulpicia. Hatte sie etwa keine Rechte?«
Für einen über zwei Jahrhunderte hinweg gehegten Groll schien dieser Belisarius nicht sonderlich profund zu sein. Aber selbst Sklaven brauchten Hoffnung, wie es schien.
Macson erzählte ihm, das Menologium sei verbrannt worden, und seine Worte hätten nur überdauert, weil der Nordmann und der Germane sie auswendig gelernt hätten. Einige Generationen später sei dann ein Nachkomme des Germanen mit dem Menologium im Kopf in das Kloster auf Lindisfarena aufgenommen worden, und man habe es niedergeschrieben. Und mit der Zeit sei die Nachricht, dass es dort aufbewahrt wurde, bis zu der Sklavenfamilie durchgedrungen, die ein Anrecht darauf zu haben glaubte.
»Und nun willst du es also zurückhaben«, sagte Belisarius.
»Die Aussichten stehen gut, dass diese singenden
Mönche gar nicht wissen, was es wert ist.« Macson warf Belisarius einen berechnenden Blick zu. »Und natürlich ließe sich damit unter Umständen ein hübscher Gewinn machen. Für uns beide.«
Eine derartige Kuriosität wäre für die Sammler in Konstantinopel, vielleicht sogar am kaiserlichen Hof selbst von großem Wert, musste Belisarius zugeben. Die Spätrömer, allesamt gute Christen, hatten einen ebensolchen Hang zu Aberglauben und Orakeln, Omen und Auguren wie ihre heidnischen Vorfahren.
Falls sie dieses Menologium in die Finger bekamen, sofern es überhaupt existierte, würde ihn der manipulative Macson natürlich ohne mit der Wimper zu zucken hintergehen, um den Gewinn für sich einzustreichen. Aber Belisarius zweifelte auch nicht daran, dass er mit einer solchen Situation fertig werden könnte, wenn sie eintrat.
In dieser Nacht wurde Caradwc schwächer. Macson kam und sagte, der alte Mann habe nach Belisarius gefragt. Er sehne sich danach, Belisarius von den heiligen Stätten sprechen zu hören, die er besucht habe.
Also sprach Belisarius im Lichtschein eines Feuers, das sie in den Ruinen des Hauptquartiers von Banna gemacht hatten, von Bethlehem, wo er eine mit Marmor verkleidete Grotte gesehen hatte, in der bekanntlich Jesus zur Welt gekommen war. Er sprach von Jerusalem, wo er den Hügel Golgatha und den Felsen gesehen hatte, auf dem Jesu Kreuz errichtet worden war und wo nun ein riesiges silbernes Kreuz stand, über dem ein Bronzerad mit Öllämpchen hing. Und
er sprach von einer mächtigen Kirche, die vom ersten Kaiser Konstantin an der Stelle erbaut worden war, wo seine Mutter Helena das Wahre Kreuz entdeckt hatte.
»Helena, ja«, flüsterte Caradwc. »Die Briten haben Helena immer geliebt …«
Das waren seine letzten Worte, und am Morgen war er tot. Mit Belisarius’ Hilfe begrub sein Sohn ihn auf dem Kamm über dem
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