Eroberer
Britanniens gegenüber der Insel Lindisfarena. Wie es sich ergab, herrschte gerade Flut, und die Insel war vom Land abgeschnitten. Nirgends an dieser sandigen Küste sahen sie ein Boot, das sie dorthin bringen konnte, oder überhaupt irgendein Anzeichen menschlichen Lebens. Darum führte Macson ihre Pferde zu einem mit hartem Dünengras bewachsenen Flecken und setzte sich dann mit Belisarius in den Schatten, den ihr Karren warf.
Belisarius war nicht traurig über die Verzögerung. Es würde ein warmer und feuchter Tag werden. Das Meer war wie ein Teich aus geschmolzenem Glas; es bewegte sich kaum, obwohl die Flut an ihm zerrte, und die heilige Insel der Germanen trieb wie eine Bimssteinplatte auf dem Wasser. Es war angenehm, hier zu sitzen und den über dem Meer kreisenden Vögeln zuzuschauen, die mit ihren eigenen kleinen Dramen von Leben und Tod beschäftigt waren.
Und Belisarius freute sich, das Meer wiederzusehen und seine scharfe Salzluft einzuatmen. Irgendwann würde er vielleicht sogar ein kleines Bad darin nehmen; das Salzwasser würde die wunden Stellen und
Blasen auswaschen, die er sich auf der Reise geholt hatte, und seine Haut reinigen, die schon viel zu lange nicht mehr ordentlich gesäubert worden war, weil die Badehäuser auf dieser gottverlassenen Insel allesamt Ruinen waren, in denen seit vierhundert Jahren niemand mehr die Kessel geheizt hatte.
Als der Morgen in den Vormittag überging, sank der Meeresspiegel allmählich. Am Mittag – die Sonne stand hoch am Himmel – rafften sie sich endlich auf und machten sich auf den Weg zur Insel. Der feuchte Sand des Damms gab unter den Hufen ihrer gereizten Pferde nach und blieb an den Rädern des Karrens haften. Macson ging neben den Pferden her und beruhigte sie mit leisen Worten – germanische Worte für Pferde, die sie bei einem Germanen erstanden hatten –, während Belisarius hinterdrein ging und den Karren stabilisierte.
Der Damm war so niedrig, dass das Meer manchmal fast an ihre Füße leckte, und auf halber Strecke zwischen der Insel und dem Festland kam es Belisarius so vor, als wandelten sie über die Meeresoberfläche selbst. Ihm fiel wieder ein, dass diese halb bekehrten Germanen abergläubische Angst vor Grenzorten, Kreuzungen und Schwellenzonen zwischen verschiedenen Landschaftsformen hatten. Auf der Haut des Meeres schwebend, verspürte Belisarius ein Aufflackern dieser uralten Furcht vor den Rändern der Welt.
Schließlich erreichten sie die Insel und rollten über einen flachen Strand auf festeres Land. Sie stießen
auf ein Dorf. Das Kloster war nicht weit entfernt; es wirkte schlicht und bescheiden.
Das Dorf sah aus wie alle anderen, ein dicht gedrängter Haufen schmutziger, in sich zusammengesackter Häuser, Hütten, Schuppen, Lauben und Verschläge. An den Rändern ging es bruchlos in die bearbeitete Landschaft über. Jenseits der schäbigen Hütten erstreckten sich Felder in langen, unregelmäßigen Streifen, eine von den beschränkten Möglichkeiten des schweren Radpflugs der Germanen geprägte Geografie. Überall standen Körbe voller Meeresfrüchte und glänzender Fischleiber, und Wolken von Fliegen hingen über den Dunghaufen und offenen Abfallgruben. Das ungewöhnlichste und reizvollste Merkmal dieses Küstendorfes war, dass man die Rümpfe ausgemusterter Schiffe umgedreht hatte; nun dienten sie als Häuser oder Lagerräume. Und der übliche Abwassergestank germanischer Dörfer vermischte sich wenigstens mit dem scharfen Geruch von verfaulendem Fisch.
Wie immer bemerkten die Kinder als Erste, dass Macson und Belisarius sich näherten. Sie kamen neugierig angelaufen, gefolgt von erschreckend großen Hunden – Schäferhunde, die die Wölfe vertreiben sollten.
Inmitten dieser fröhlichen Horde näherte sich ein Mann mit großen Schritten, um sie zu begrüßen. Er war hochgewachsen, aber schlank, mit grauen Strähnen in seinem schmutzigblonden Haar; er mochte etwa Mitte dreißig sein. Ein üppiger Schnurrbart zierte sein Gesicht, und er trug eine Halskette aus Muschelschalen
und Steinen. Etwas weiter entfernt sah Belisarius andere Männer und Frauen, die sie mit verhaltener Neugier beobachteten. Belisarius achtete ebenso wie Macson darauf, dass seine Hände immer gut sichtbar blieben.
»Mein Name ist Guthfrith«, sagte der Mann. »Ihr kommt von weither, wie ich sehe. Seid ihr wegen der Mönche hier?«
»So ist es.«
Guthfrith sagte, einer der Mönche sei gerade im Dorf – ein »Diakon« namens Elfgar, der
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