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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Dunkeln den Weg weist.«
    »Wer ist der Weber?«, fragte sie.
    Aber er antwortete nicht.
    Aelfric schwirrte der Kopf vor Folgerungen und Implikationen. Diese lange Perspektive löste ein seltsames Gefühl in ihr aus – die Vorstellung, dass sie einer »mittleren Generation« angehörte und dass ihr Leben der Bewahrung von Reliquien geweiht war,
gefertigt von Vorvätern, die schon vor ihrer Geburt zu Staub geworden waren, zugunsten von Kindern, die erst lange nach ihrem eigenen Tod das Licht der Welt erblicken würden. Aber war das nicht auch die christliche Botschaft, dass jedes kleine Leben von der größeren Geschichte des Universums in den Schatten gestellt wurde?
    Und selbst wenn es so war, dachte sie jetzt, konnte es sein, dass andere Strophen des Menologiums sich auf ihre eigene Zukunft bezogen?
    »Dom, wenn es in der vierten Strophe um Cuthbert geht, was bedeutet dann die fünfte Strophe?« Sie las sie von ihrer beschmierten Kopie ab:
    Der Komet kommt / im Monat Mai. Des
Großen Jahres Mittsommer / weniger neun mal sieben.
Östliche Drachenklaue / durchbohrt Stille, stiehlt Worte.
Neunhunderteinundzwanzig / die Monde des fünften Jahres.
    Ein Hauch von Furcht wehte sie an, wie der Rauch eines fernen Feueratems. »Eine Drachenklaue? Kann das eine Warnung sein, Dom? Eine Warnung für uns? «
    »Es ist nicht an uns, Fragen zu stellen«, gab er zurück.
    »Aber das Datum – der Mittsommer dieses fünften ›Großen Jahres‹ von neunhunderteinundzwanzig
Monaten, minus neun mal sieben, also dreiundsechzig  – man könnte es ausrechnen.«
    »Das ist nicht deine Aufgabe«, sagte er mit fester Stimme. »Das Datum ist in Gottes Geist und in meinem. Und dort muss es bleiben.«

IX
    Nach drei Tagen unterwarf sich Macson dem Urteil des Priesters und seinesgleichen, und sie gelangten zu dem Schluss, dass seine Wunde recht gut verheilt und seine Unschuld somit erwiesen war. Er war also frei, und Belisarius hielt sein Wort.
    Sie traten die Reise nach Norden in einem gemieteten Karren an, der von zwei geduldigen Wallachen gezogen wurde und mit Belisarius’ kostbaren Büchern beladen war. Sie selbst saßen zu dritt auf dem Karren, Belisarius, Macson – und Caradwc, Macsons Vater.
    Wenn Macson um die dreißig war, wie Belisarius schätzte, dann musste Caradwc mindestens fünfzig sein. Er sprach nur wenig. Wenn er atmete, rasselten seine Lungen, und er hustete einen Sprühregen blutiger Tröpfchen aus. Belisarius achtete darauf, dass er nichts davon abbekam. Nur mit den auf seinen Reisen erworbenen oberflächlichen medizinischen Kenntnissen gewappnet, hatte der Grieche keine Ahnung, was tief im Innern des alten Mannes kaputt war, geschweige denn, wie man es reparieren konnte.
    Zwischen Vater und Sohn schien ein ungewöhnlich starkes Band zu bestehen. Allerdings war Carawdc in Macsons Augen auch mehr als nur sein Vater; er
war der Mann, der die Familie nach Generationen in ihrem Gedächtnis noch allzu präsenter Knechtschaft aus der Sklaverei freigekauft hatte. Dass es mit dem alten Mann nun allmählich zu Ende ging, machte dem Sohn schwer zu schaffen.
    Die Reise nach Norden war leichter, als Belisarius erwartet hatte. Macsons Versprechungen erwiesen sich als zutreffend, und sie kamen auf den alten Römerstraßen im Allgemeinen gut voran. Es gab jedoch schon seit Jahrhunderten keine Legionäre mehr, und über weite Strecken waren die Straßen ihrer Pflastersteine beraubt worden, was die Reise zuweilen recht beschwerlich machte. Zumindest wurden sie nicht von Banditen behelligt. Auch in diesem Punkt trafen Macsons Behauptungen zu: Die Herrschaft des alternden Offa von Mercien hatte der Insel so etwas wie Rechtsstaatlichkeit gebracht.
    Und es war Mai. Auf dieser nördlich gelegenen Insel war es wärmer, als Belisarius erwartet hatte, und das Grün der Felder und Wälder erfreute das Auge, auch wenn die Pflanzen und Bäume im Vergleich zur Fülle des Mittelmeerraums, des Herzens der Welt, ein wenig kümmerlich wirkten. Ebenso unerwartet war die Länge der Tage, die in den nördlichen Breiten dieser Insel nur ganz langsam in die Dunkelheit übergingen.
    Es war eine eigenartige Landschaft für eine ehemalige römische Provinz. Überall sah man die Hüttensiedlungen der Germanen. Sie lagen manchmal nah an der Straße, aber nie in der Nähe einer Kreuzung, denn, wie Macson mit einiger Verachtung erklärte,
die Germanen hatten abergläubische Angst vor Kreuzungen, Übergangsstellen, an denen Dämonen entweichen konnten. Überall

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