Eroberer
Gewicht.«
Der Thegn nahm den Brief an sich – Cynewulf bemerkte, dass er ihn verkehrt herum hielt – und gab
ihn dem Ausländer. »Lies das vor, Ibn Zuhr.« Der Ausländer murmelte ein paar Worte, die Cynewulf nicht hören konnte, und gab den Brief dem Thegn zurück – der ihn zu Cynewulfs Entsetzen zerknüllte und in den Schmutz trat. »Eine eindeutige Fälschung. Fort mit dir, Priester, wenn du nicht deinen Kopf hier lassen willst.«
»Aber … aber …« Cynewulf ging auf die Knie, nahm seinen kostbaren Brief wieder an sich und versuchte, ihn zu glätten. »Kannst du nicht lesen, Mann? Siehst du’s denn nicht?«
Aebbe legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Priester. Beruhige dich.«
»Aber diese Dummköpfe – ich bin quer durchs ganze Land gereist, bin den Heiden entgegengetreten, nur um …«
Doch Aebbe lächelte. Als Cynewulf erstaunt aufblickte, sah er, dass der Thegn ebenfalls lächelte. Und obwohl sein Grinsen hinter dem Bart aussah wie eine Wunde in einem Bärenschenkel, kam ihm etwas in seinen Augen, in der Form seines Mundes bekannt vor.
»Arngrim ? Bist du das?«
Arngrims Grinsen wurde breiter. »Es war schon immer leicht, dich auf den Arm zu nehmen, Vetter!« Und er bückte sich, um Cynewulf auf die Schulter zu klopfen.
Arngrim und Aebbe mussten Cynewulf aufhelfen, und dann führten sie ihn in König Alfreds Halle.
II
Verräucherte Wärme umfing Cynewulf im Innern der Halle. In einer riesigen zentralen Herdstelle loderte ein Feuer, und Binsenfackeln an den Wänden warfen helles Licht. Der Raum war von dumpfem Stimmengewirr erfüllt.
Er sog die miefige Luft tief in die Lungen und rieb sich vergnügt die Hände. »Endlich, endlich.«
Aebbe war alles andere als beeindruckt. »Du freust dich, hier zu sein? In dieser Taverne? «
Arngrim lachte. »Du musst ihm vergeben. Er ist an solchen Orten aufgewachsen, und darum fühlt er sich hier zu Hause. Kommt, suchen wir uns einen Sitzplatz.«
Sie gingen in die Halle hinein. Zwei Reihen jahrhundertealter Eichen teilten den offenen Raum in drei Schiffe, wie bei den römischen Basiliken früherer Zeiten. Es war ein massiver Holzbau, eine Arche, gewiss stark genug, um auch dem größten Sturm zu trotzen. Und wenn man hier Sicherheit fand, dann auch Reichtum. Zwar hingen Saufedern und Rotwildfelle an den Wänden, aber überall glitzerte Gold, eingewoben in die Wandbehänge, ja sogar eingelegt in die Metbänke.
Die Halle war gerammelt voll. Cynewulf wusste, dass er hier viele der großen Männer von Wessex antreffen würde: Bischöfe, Thegns und Ealdormen, die großen Grundbesitzer. Sie waren am Tag des heiligen Stefanus zum Witan des Königs gerufen worden und an diesem Januarabend, an dem das Fest der zwölf Weihnachtstage endete, immer noch da. In der Ortschaft Cippanhamm wimmelte es von ihren Angehörigen und Gefolgsleuten, und selbst hier in der Halle stocherten ein paar Kinder im Essen auf den Tischen.
Einige der Männer schliefen, erschöpft von den langen Tagen voller Festlichkeiten. Auf Decken gebettet, lagen sie hinter den Metbänken auf dem Boden, ihre polierten Holzschilde neben dem Kopf, ihre Rüstungen und Waffen auf die Bänke gehäuft. Heutzutage achteten selbst Bischöfe darauf, dass sie jederzeit zu ihrem Schwert greifen konnten.
Am Kopfende der Halle, gegenüber der riesigen Tür, saß der König auf seinem Gabenthron. Alfred war ein junger Mann mit einer jungen Familie; seine Gemahlin stand neben ihm, und Kinder saßen zu seinen Füßen, während die Bittsteller einer nach dem anderen auf ihn zutraten. Unter den Kriegern, die auf den Metbänken tranken, mussten die Hausgefährten des Königs sein, seine Leibwächter und seine engsten Verbündeten.
Die Königshalle war der Dreh- und Angelpunkt der englischen Gesellschaft. Die Anwesenheit so vieler großer Männer, die durch Treueschwüre, das Fundament des Gesetzes, miteinander und mit ihrem König verbunden waren, übte eine ungeheuer beruhigende
Wirkung auf Cynewulf aus. Hilflos strahlend wandte er sich an Aebbe. »Ich habe dir ja gesagt, dass ich dich nach Hause bringen würde.«
Aebbe war immer noch nicht beeindruckt. »Und das«, fragte sie und zeigte auf Alfred, »ist der König? Der? «
Cynewulf schaute noch einmal hin und sah den König durch ihre Augen. Alfred war ein hochgewachsener, blasser Mann, der sein Haar lang und offen trug. Er war glatt rasiert und hatte ein erstaunlich langes Kinn, das seinem Gesicht einen Ausdruck ewiger Trauer verlieh. Seine
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