Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
es beide eilig. Und während die Bedienung am Tisch stand, ich seine Kaffees und meinen Tee bezahlte, dankte er mir noch einmal für das gemalte Bild, das ich ihm vor zwanzig Jahren geschenkt hatte, ein Dank aus heiterem Himmel für etwas, das längst erledigt war, aber wohl nur für mich. Er nickte mir wieder zu, er räusperte sich noch einmal, eine Art Schlusspunkt, und erst jetzt steckte er sich im Aufstehen die Zigarette an (die letzte, die ich ihn hatte anstecken sehen) und lief auf die Straße, wo er gleich den vorbeifahrenden Taxis winkte, wie einer, der im Leben steht und dringend zum Flughafen muss. Er hatte mich abgehängt für ein paar Augenblicke, also lief ich ihm geradezu hinterher, und dann standen wir beide vor dem Schnellcafé vis-à-vis von meinem Hotel, und M. sagte nichts mehr, außer dem Üblichen, Halt die Ohren steif, und als ein Taxi heranfuhr, nahm ich ihn, wie bei jedem Abschied, kurz in den Arm und zog seinen Kopf an meinen. Drei, vier Herzschläge lang standen wir so – irgendwie hielt er auch mich umarmt –, und ich fühlte seine verkümmerten Muskeln unter der Jeansjacke, das heißt, ich glaubte sie zu fühlen, weil da kaum etwas war, und erschrak (das Verkümmerte ist ja im Grunde nur der Schreck, weil etwas nicht mit unserer Erinnerung übereinstimmt). Er war einfach weniger geworden, er hatte sich nicht nur entliebt, wie die Polen sagen, er hatte sich auch entleibt, und irgendwie merkte er meinen Schrecken. Denn mehr als sonst ließ er das kurze Andrücken seiner Wange und Schläfe an meine Wange und Schläfe durchgehen und spannte sogar den verkümmerten Muskel, um mich dann förmlich ins Taxi zu schieben. Und das Letzte, das ich von ihm sah, war sein Greisengesicht von einer fürchterlichen Schönheit, die Zigarette im Mund und ein Griff an den eigenen Oberarm, als wolle er den Schrecken nachfühlen.

27
    Der nächste Geburtstag, den M. erlebt hätte, wäre sein achtundfünfzigster gewesen, den ich heute erlebe, bei bewölktem Himmel nach Gewitter an diesem sechsten Juli. Ein Vormittag allein (unsere Tochter auf der Beerdigung der Freundin, die unter die Straßenbahn kam, der Sohn in der Schule, U. im Italienischkurs). Nach morgendlichem Schreiben ein spätes Frühstück mit Radio, Frankreich im Finale. Dann italophiles Geschwätz, um sich als guter deutscher Verlierer zu zeigen, am Ende das beschwingte Ciao! (erstrebenswertes Ziel: selber nie wieder Ciao sagen, schon gar nicht am Telefon zu Landsleuten und ums Verrecken nicht auf einen Anrufbeantworter). Nach dem Frühstück die Geburtstagsanrufe im Zehnminutentakt, den Anfang macht H. aus Berlin, noch verschlafen – sie habe mir ein Päckchen geschickt, mit dem schwarzem Poesiealbum. Als nächstes ruft die Mutter an, sie klingt frisch, was auch als Geschenk zu werten ist (kommenden Montag, auf meiner Fahrt zum See, wieder der Besuch bei ihr). Und danach gleich die Stiefmutter in der seltenen Variante der lieben Stiefmutter: Wir kennen uns sehr lange, es war nie kompliziert. Und später die Schwester, die mit M. lange verbunden war, nicht immer leicht für den Bruder, aber ohne den kleinsten bleibenden Schatten; und es gratulieren auch ihr Mann, Ex-Raucher, der längst das Leben inhaliert und der gemeinsame Sohn mit seiner Begabung zur Freude. Als nächstes meldet sich S., die Pianistin, und Minuten später ruft H., ihr Lebensbegleiter, aus seinem Klinikgehäuse an. Den Abschluss macht der Verlegerfreund, auf dem Weg zu Gernhardts Beerdigung – Worte am Friedhofstor, nicht weit vom Grab des Verlegervaters.
    Glückwünsche von verschiedenster Seite haben etwas Aufmunterndes und Erschreckendes zugleich, sie machen einen sprachlos – Geburtstagen scheint, je älter man wird, etwas zunehmend Paradoxes anzuhaften, man ist der Erinnerungssammler, der einmal im Jahr seine besten Stücke aufgereiht sehen will, und wenn es soweit ist, der Schrecken, weil man selbst nicht in der Reihe steht, sondern davor. Also war es für M., je älter er wurde, immer näher liegend, diesen Tag einfach ausfallen zu lassen, ohne Allüren, während der Erzähler mehr und mehr dazu neigt, seinen Geburtstag auch schreibend zu feiern; zwei Arten von Skepsis, die eine schon früh erkennbar. Als wir beide noch zusammen gefeiert hatten, seinen Siebzehnten, meinen Siebzehnten, tanzend mit den Schwestern im Garderobenkeller, beschenkt mit dem Duft ihres Puders und dem Geschmack weißen Lippenstifts, dazu zwei Kisten Bier und die Lieder von Paul Anka, verbreitete

Weitere Kostenlose Bücher