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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Leben; man sieht den anderen selbst in seiner Blöße als Geschichte. Und nein, weil es in einer alten Ehe, wenn sie etwas taugt, immer auch noch etwas Bewahrtes gibt, das man einander entreißen will, in einem Akt liebender Dummheit, jenseits der Sprache, wenn beide Körper noch einmal zu allem Ja und Amen sagen. Freundschaft duldet keine Dummheiten dieser Art, während die Ehe sie braucht; kein noch so kurzer blinder Moment ohne ein Verlassen des Niveaus. Und hinterher raucht man eine, das schöne alte Kinobild: Wenn das tierische Paar zur menschlichen Ausgangslage zurückkehrt, die unterbrochene Geschichte fortsetzt und mit etwas Glück ein Wort das andere gibt.
    Als sich das Freundespaar zum letzten Mal gegenübersaß, ohne von diesem letzten Mal etwas zu ahnen, vielleicht weil das elende Schnellcafé neben dem Sony-Center nicht nach Schlussworten aussah oder der Angereiste eigentlich auf die Filmpremiere wollte, was dem Treffen etwas Untergeordnetes gab, waren es nur drei kleine Worte, die nach der Hälfte der knappen Zeit aus dem Gespräch über Beweggründe von Jurys (die Berlinale war gerade vorbei) ein Gespräch über uns machten. Woran denkst du, fragte ich zwischendurch, ein Reflex, nachdem M. minutenlang auf die Straße gesehen hatte beim Reden und Rauchen, ein Fragen ohne an etwas zu denken, am wenigsten daran, dass es die Standardworte der Verliebten waren, wenn sie rascher vorankommen wollen. An die Frau mit dem Kind aus Havanna, sagte er, an die Fotos von dem Essen mit ihr, unter dem Bild von Che Guevara – alles Mögliche hätte ich erwähnt, nur nicht den Namen der Frau. Wie hieß sie? Er sah jetzt wieder zu mir, die Ellenbogen in seiner Jeansjacke aufgestützt, ein über den Tisch gebeugtes Dasitzen, auch meine Haltung, und wir rauchten auch beide, die Zigaretten berührten sich fast mit der Glut. Sie hieß Teresa, sagte ich und überlegte, wie ihr Kind geheißen hatte, ein Mädchen, aber der Name fiel mir nicht ein – Carmen, Maria, Dolores, ein sinnloses Hin-und-her-Überlegen, während M. noch einen Kaffee bestellte, den dritten. Und du warst also mit ihr und dem Kind in einem Wohnhaus ohne Strom und Wasser, fasste er die Dinge noch einmal zusammen, schon am Rande seines erstickten Lachens bei dem Gedanken, wie sich der Freund wohl im Dunkeln angestellt haben mochte, nebenan das Murmeln und Kichern der anderen Bewohner, und ich sagte – zweiter Reflex –, diese Geschichte sei gar nicht wahr, ich hätte sie für ihn erfunden, wahr sei nur das mit dem knochigen Hund auf dem Plastikstuhl unter den Colonaden am Malecón. Und von M.s Seite ein Räuspern, das Räuspern von seinen unerwarteten Anrufen, bevor er mit etwas tieferer Stimme als sonst die bekannten Worte sagte, immer mit leichtem selbstironischem Druck auf dem eigenen Namen, und auch auf mein Geständnis hin kam dieser besondere Ton. Er zog die Brauen hoch, dass man die Stirnfalten zählen könnte, und nannte den Namen, den ich vor Jahren als Pseudonym gewählt hatte, Odette Haussmann (eine Figur samt Legende, um hinter ihr zu verschwinden und noch einmal von vorn anzufangen: ein Anfang, der auf gutem Weg war, mit ersten Erfolgen, bis Verrat dem Ganzen ein Ende gesetzt hat). Odette Haussmann, nur dieser Name mit feinem Nachdruck bei hochgezogenen Brauen, das war sein Kommentar zur Auflösung der Havanna-Teresa-Geschichte; dann kam er schon mit Fragen zum wahren Teil meines Berichts, zu dem Hund auf dem Stuhl. Und während ich erzählte, was es zu erzählen gab, stützte er den Kopf in die Hände und legte ihn etwas schräg, die Hand mit der Zigarette, halb zur Faust gerollt, an der grauen Wange. Er hörte zu, als ginge es um einen Verwandten, einen aus der Art geschlagenen und doch bewunderswert verrückten, in den Straßen von Havanna lebenden Neffen, den ich an seinem Lieblingsplatz auf einem Stuhl unter den Colonaden am Malecón getroffen hatte und der ihn herzlich grüßen lasse, von Hund zu Hund. M. nickte bei jedem Detail, das mir noch einfiel, etwa dass der Hund einen zu großen Kopf für seinen knochigen Körper hatte oder der Stuhl nur drei Beine, ein Nicken, als hätte er den entfernten Verwandten auch schon besucht; und er wartete sogar mit dem Anzünden der nächsten Zigarette, bis auch das Panorama aus Sicht des Lieblingsplatzes vollständig offengelegt war. Dann sah er auf meine Uhr, indem er mir den Ärmel etwas zurückstreifte, und sagte, ich müsse jetzt los, und gab der Bedienung auch schon ein Zeichen, als hätten wir

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