Eros und Evolution
Gegenseitigkeit. Keines der beiden Geschlechter strebt nach Quantität seiner Partner, beide streben nach Qualität: Bebrüten und Aufzucht eines einzelnen Kükens, das über viele Monate hinweg versorgt und gefüttert wird. Nun haben aber Albatrosmännchen dieselbe genetische Ausgangsposition wie See-Elefantenbullen – warum verhalten sie sich derart unterschiedlich?
Die Antwort läßt sich, wie John Maynard Smith zuerst erkannte, aus der Spieltheorie ableiten, einer den Wirtschaftswissenschaften entliehenen mathematischen Technik. Die Spieltheorie unterscheidet sich insofern von anderen Theorieformen, als sie der Tatsache Rechnung trägt, daß das Ergebnis einer Transaktion sehr häufig davon abhängt, was andere tun. Maynard Smith machte den Versuch, verschiedene genetische Strategien in derselben Weise gegeneinander antreten zu lassen, wie Ökonomen verschiedene ökonomische Strategien aneinander messen. Eines der Probleme, deren Lösung mit dieser Technik schlagartig möglich wurde, war die Frage, weshalb verschiedene Tiere so verschiedene Paarungssysteme haben. 14
Stellen Sie sich eine Population urtümlicher Albatrosse vor, in der die Männchen hoch polygam sind und sich an der Aufzucht der Jungen nicht beteiligen. Stellen Sie sich weiter vor, Sie wären ein junges Männchen ohne die geringste Aussicht, jemals Besitzer eines Harems zu werden. Nehmen wir an, Sie verzichteten auf Ihre Ambitionen als Polygamist und heirateten ein einzelnes Weibchen, dem Sie bei der Aufzucht der Jungen zur Hand gingen: Sie hätten zwar nicht den Hauptgewinn gezogen, wären aber noch immer besser dran als die meisten Ihrer ehrgeizigen Brüder. Gehen wir nun weiter davon aus, daß sich dadurch, daß Sie sich an der Aufzucht des Babys beteiligen, dessen Überlebenschance deutlich erhöhten. Dann hätten die Weibchen in der Population plötzlich zwei Alternativen: einen treuen Partner zu suchen, wie Sie es sind, oder einen Polygamisten zu nehmen. Diejenigen mit dem treusorgenden Partner hinterlassen mehr Nachkommen, so daß in jeder Generation die Anzahl der Weibchen, die sich einem Harem anschließen, abnimmt und somit auch der Vorteil, ein Polygamist zu sein, immer geringer wird. Die Art wird durch die »Monogamie« erobert. 15 Das Ganze funktioniert aber auch umgekehrt. Die Männchen der kanadischen Trauerammern grenzen sich ein Revier ab und versuchen, mehrere Weibchen anzulocken, um sich mit ihnen zu paaren. Gesellt sich ein Weibchen einem Männchen zu, das bereits eine Partnerin hat, dann vergibt es die Chance, in den Genuß seiner väterlichen Talente zu kommen.
Wenn aber sein Territorium deutlich mehr Nahrung bietet als das seines Nachbarn, dann zahlt sich für das Weibchen die Entscheidung trotzdem aus. Sobald es einen größeren Vorteil bedeutet, des größeren Territoriums oder der Gene wegen einen Bigamisten zu wählen, als sich der elterlichen Pflege wegen für einen Monogamisten zu entscheiden, wird das Resultat Polygamie sein. Dieses Modell einer sogenannten »Polygynie-Schwelle« erklärt offenbar, wieso viele sumpfbewohnende Vögel Nordamerikas polygam werden konnten. 16
Beide Modelle ließen sich ohne weiteres auch auf die Menschheit anwenden. Sie entwickelte sich in Richtung Monogamie, weil der Vorteil, einen rangniederen Vater für seine Kinder zu haben, der zum Nahrungserwerb der Familie beitragen kann, größer war als der Nachteil, nicht mit dem Chef verheiratet zu sein. Oder die Menschheit wurde aufgrund der Besitzunterschiede zwischen verschiedenen Männern polygam. »Welche Frau würde es nicht vorziehen, die dritte Frau John F. Kennedys zu werden, statt die erste Frau von Bozo dem Clown zu sein?« meinte eine Evolutionsbiologin. 17
Es gibt gewisse Hinweise darauf, daß auch beim Menschen eine Polygamie-Schwelle existiert. Bei den Kipsigis in Kenia besitzen reiche Männer mehr Vieh und mehr Frauen. Bei einem reichen Mann ist jede seiner Frauen mindestens ebenso gut dran wie die einzige Frau eines armen Mannes, und das wissen die Frauen auch. Monique Borgehoff Mulder von der University of California in Davis, die sich lange mit der Kultur der Kipsigis beschäftigt hat, berichtet, die Frauen würden sich häufig freiwillig für die Polygamie entscheiden. Eine Kipsigifrau wird vor ihrer Eheschließung von ihrem Vater beraten, und sie ist sich nur zu gut der Tatsache bewußt, daß sie ein besseres Schicksal erwartet, wenn sie die zweite Frau eines Mannes mit einem großen Viehbestand wird, als wenn sie sich
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