Eros und Evolution
Männchen paaren, denen, von deren Balz sie am meisten beeindruckt waren. Sie ziehen ihre Jungen ohne jede Hilfe von seiten der Männchen auf. Die benachbarten Moorschneehühner leben revierbezogen und monogam, bei ihnen widmet sich der Hahn mit nahezu derselben Aufmerksamkeit den Jungen wie die Henne. Beide Arten haben denselben Nahrungsvorrat, denselben Lebensraum und dieselben Feinde – und doch sind ihre Paarungssysteme völlig unterschiedlich. Warum? Wie die meisten Biologen bevorzuge ich die Erklärung, daß sie auf eine unterschiedliche Geschichte zurückblicken. Birkhühner sind die Nachkommen von Waldbewohnern, und im Wald entwickelten ihre mütterlichen Vorfahren den Brauch, Männchen weniger nach deren Revier, sondern eher auf Arenabalzen entsprechend ihrer genetischen Qualität auszuwählen. 23
Jäger oder Sammler
Für den Menschen ergibt sich daraus ganz offensichtlich die Lehre, daß wir unser natürliches Habitat und unsere Vergangenheit genauer betrachten müssen, wenn wir unser Paarungssystem bestimmen wollen.
Die Menschheit lebt erst seit weniger als tausend Jahren vorwiegend in Städten. Seit weniger als zehntausend Jahren betreibt sie Landwirtschaft. Dies sind nur winzige Augenblicke unserer Geschichte. Denn bereits mehr als eine Million Jahre zuvor war der Mensch deutlich erkennbar menschlich und lebte – vor allem in Afrika – in einer Jäger-und-Sammler-Kultur. Der Schädel eines modernen Stadtmenschen birgt also ein Gehirn, das für das Jagen und Sammeln in kleinen Gruppen in der afrikanischen Savanne angelegt ist. Mit welchem Paarungssystem der Mensch seinerzeit auch gelebt haben mag, es ist das, was für ihn auch heute noch das »natürliche« ist.
Robert Foley ist Anthropologe an der Cambridge University und hat versucht, sich über die Geschichte des menschlichen Sozialgefüges klarzuwerden. Er geht davon aus, daß alle Menschenaffenweibchen die Gruppe, in der sie geboren wurden, verlassen – während es bei den Pavianen die Männchen sind, die ihre angestammte Gruppe verlassen. Der Wechsel von männlicher Exogamie zu weiblicher Exogamie muß eine extrem große Umstellung für eine Art gewesen sein. In dieser Hinsicht sind Menschen auch heute noch typische Menschenaffen. In den meisten Kulturen ziehen Frauen zu ihren Männern, während die Männer im allgemeinen in der Nähe ihrer Verwandten bleiben. Es gibt allerdings einige Ausnahmen: In vielen, aber längst nicht in den meisten traditionellen menschlichen Gesellschaften ziehen die Männer zu den Frauen.
Weibliche Exogamie bedeutet, daß Menschenaffenweibchen im großen und ganzen die Möglichkeit fehlt, Verwandtschaftsbeziehungen zu unterhalten. Ein junges Schimpansenweibchen verläßt grundsätzlich die Gruppe seiner Mutter und begibt sich in eine fremde Gruppe, die von Männchen beherrscht wird, welche ihm nicht vertraut sind. Es muß daher die Fähigkeit entwickeln, sich in die Gunst der Weibchen einzuschleichen, die bereits in dieser Gruppe leben. Im Gegensatz dazu bleiben Männchen bei ihrer Gruppe und verbünden sich mit ranghohen Verwandten in der Hoffnung, deren Sozialstatus irgendwann zu übernehmen.
Soweit das Vermächtnis der Menschenaffen. Wie steht es mit dem Lebensraum des Frühmenschen? Gegen Ende des Miozäns vor etwa fünfundzwanzig Millionen Jahren begannen Afrikas Wälder zu schrumpfen.
Trockenere, stärker den jahreszeitlichen Schwankungen unterworfene Biotope breiteten sich aus – Grasland, Buschland und Savannen. Vor etwa sieben Millionen Jahren trennten sich die Vorfahren des Menschen von den Vorfahren der modernen Schimpansen. Mehr noch als die Schimpansen und sehr viel stärker als Gorillas begannen unsere menschlichen Urahnen, diese trockenen Lebensräume zu besiedeln und sich ihnen anzupassen. Wir wissen dies, weil die frühesten Fossilien menschenähnlicher Affen (der Australopithecinen) an Orten gefunden wurden, die damals nicht bewaldet waren: Hadar in Äthiopien und die Olduvai-Schlucht in Tansania. Diese relativ offenen Lebensräume begünstigten beim Menschen vermutlich ebenso wie beim Schimpansen und Pavian, den beiden anderen Primaten der offenen Savanne, die Bildung größerer Gruppen. Sozioökologen stellen immer wieder fest, daß die Gruppen um so größer sind, je offener der von ihnen bewohnte Lebensraum ist – zum einen, weil große Gruppen wachsamer sein können, wenn es darum geht, Räuber auszumachen, zum anderen, weil die Nahrung relativ ungleichmäßig verteilt ist. Aus nicht
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