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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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ausbrütet und die Küken aufzieht. 8
    Wassertreterhennen und andere Arten mit weiblicher Verführungskunst sind die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Ich kann mich erinnern, daß ich einmal einen ganzen Schwarm Wassertreterhennen beobachtete, die ein einzelnes Männchen so hart bedrängten, daß es beinahe ertrank. Und warum? Weil ihre Partner alle friedlich die Eier für sie bebrüteten, und die Weibchen nichts Besseres zu tun hatten, als sich nach einem zweiten Partner umzuschauen. Sobald die Männchen mehr Zeit und Energie in die Aufzucht der Jungen investieren, übernehmen die Weibchen das Regiment bei der Balz, und umgekehrt. 9 Beim Menschen ist diese Asymmetrie nur zu offensichtlich: neun Monate Schwangerschaft gegen fünf Minuten Spaß. Falls ein solches »Investitionsverhältnis« tatsächlich festlegt, welches Geschlecht in puncto Verführung welche Rolle übernimmt, dann ist es wahrlich keine Überraschung, daß eher Männer Frauen verführen als umgekehrt. Daraus könnte man nun schließen, eine hochpolygame Gesellschaft repräsentiere den Sieg des Mannes, während eine monogame Gesellschaft den Sieg der Frau darstelle. Diese Annahme ist irreführend. Eine polygame Gesellschaft repräsentiert in erster Linie den Sieg eines oder mehrerer Männer über alle anderen Männer. In polygamen Gesellschaften sind die meisten Männer zur Ehelosigkeit verdammt, denn das Geschlechterverhältnis bleibt gleich.
    In jedem Fall lassen sich aus der Evolution keine moralischen Schlüsse irgendwelcher Art ziehen. Die Asymmetrie der pränatalen sexuellen Investition bei beiden Geschlechtern ist eine Begleiterscheinung des Lebens, kein moralisches Vergehen. Sie ist »natürlich«. Es mag äußerst verführerisch sein, als Mensch ein solches evolutionsgeschichtliches Szenario stürmisch zu begrüßen, da es männliche Untreue »rechtfertigt«, oder es vehement abzulehnen, da es die Forderungen nach sexueller Gleichberechtigung »unterläuft«. Aber es tut keines von beidem.
    Ich sage hier nichts darüber, was richtig oder falsch ist. Ich versuche, die Natur des Menschen zu beschreiben und nicht, ihr Moral zu verschreiben. Daß etwas natürlich ist, macht es nicht automatisch richtig. Mord ist insofern »natürlich«, als unsere Affenverwandtschaft ihn regelmäßig begeht, offenbar ebenso wie unsere menschlichen Vorfahren. Vorurteile, Haß, Gewalt, Grausamkeit – sie alle sind mehr oder weniger ein Teil unserer Natur. Und jedem von ihnen läßt sich durch die richtige Art der Erziehung begegnen. Die Natur ist nicht unflexibel, sondern formbar. Hinzu kommt der natürlichste Wesenszug der Evolution, nämlich der, daß die verschiedenen Versionen der Natur einander standhalten müssen. Die Evolution führt nicht nach Utopia. Sie führt zu einer Zukunft, in der das, was für einen Menschen gut ist, für einen anderen sehr schlecht sein kann oder das, was für eine Frau gut ist, für einen Mann von Übel sein kann. Der eine oder der andere wird im Zuge dessen zu einem »unnatürlichen« Schicksal verdammt. Genau das ist es, was die Botschaft der Roten Königin vermittelt.
    Auf den folgenden Seiten werde ich wieder und wieder eine Vorstellung davon zu entwickeln suchen, was für die Menschheit »natürlich« ist. Vielleicht werden meine eigenen moralischen Vorurteile gelegentlich als Wunschvorstellung einfließen, doch das geschieht unbewußt. Selbst da, wo ich mich hinsichtlich der menschlichen Natur irre, bleibt es eine zweifelsfreie Tatsache, daß es eine solche Natur gibt, nach der man forschen kann.

Die Bedeutung homosexueller Promiskuität
    Die meisten Prostituierten sind Frauen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die Nachfrage nach weiblichen Prostituierten größer ist als die nach männlichen. Legt die Existenz weiblicher Prostituierter ein ungeschminktes Zeugnis von den sexuellen Bedürfnissen des männlichen Geschlechts ab, so gilt dies für das Phänomen männlicher Homosexualität nicht minder. Vor dem Auftreten von AIDS herrschte unter praktizierenden homosexuellen Männern eine weit größere Promiskuität als unter heterosexuellen Männern. Viele Schwulenbars waren – und sind – anerkannte Treffpunkte, an denen man einen Partner für die Nacht finden kann. In San Francisco wurden in öffentlichen Bädern Sexorgien veranstaltet, die, als sie in den frühen Jahren der AIDS-Epidemie zur Sprache kamen, nervöses Erschrecken auslösten. Eine Studie des Kinsey-Instituts über homosexuelle Männer im Bereich

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