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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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Baby (durch Rekombination) eine gründliche Mischung von vier großelterlichen Genen erhält, die ihm (nach Segregation) über seine beiden Eltern übermittelt werden. Die für die Sexualität essentiellen Vorgänge bestehen also in einer Kombination von Rekombination und Segregation. Alles andere – Geschlecht, Partnerwahl, Inzestvermeidung, Polygamie, Liebe, Eifersucht – sind lediglich Möglichkeiten, Segregation und Rekombination effizienter oder sorgsamer durchzuführen.
    Von dieser Warte aus betrachtet, wird Sexualität allerdings sofort von der Fortpflanzung abgekoppelt. Ein Lebewesen kann sich die Gene eines anderen in jedem Lebensstadium ausborgen. Nichts anderes tun zum Beispiel Bakterien. Sie koppeln sich einfach aneinander, wie in der Luft auftankende Flugzeuge, schicken ein paar Gene durch den Schlauch und gehen getrennte Wege. Die Reproduktion erledigen sie später, indem sie sich zweiteilen. 5
    Sexualität ist also gleichzusetzen mit genetischer Durchmischung. Die Unstimmigkeiten beginnen, sobald man sich darüber klarzuwerden versucht, weshalb die Genmixtur eine solch gute Idee sein sollte. Ungefähr das ganze letzte Jahrhundert über lautete die traditionelle Lehrmeinung, die genetische Durchmischung sei im Hinblick auf die Evolution vorteilhaft, weil sie dazu beitrage, eine hinreichende Variabilität zu schaffen, aus der die natürliche Selektion dann auswählen kann. Sie verändert keine Gene – sogar Weismann, der von Genen noch nichts wußte und vage von »Iden« sprach, erkannte dies –, aber sie schafft neue Genkombinationen. »Wir sehen uns genöthigt anzunehmen, daß das Keimplasma aus Iden zusammengesetzt ist, das heißt aus gleichwertigen Keimplasmastückchen, deren jedes alle Arten von Determinanten enthält. Ich habe diese Iden früher bereits Ahnenplasmen genannt … Auch heute noch betrachte ich Amphimixis als das Mittel, durch welches eine stets sich erneuernde Umkombinierung der Variationen bewirkt wird.« 6 Sexualität stellt eine Art Freihandel mit erfolgreichen genetischen Erfindungen dar, durch den die Chance erhöht wird, daß diese sich innerhalb der Spezies ausbreiten können, so daß die Art sich weiterentwickeln kann. Nach Weismann beschleunigt Sexualität die Evolution.
    Graham Bell, ein britischer Biologe in Montreal, gab dieser traditionellen Ansicht den Namen »Vikar-von-Bray-Hypothese«. Er beruft sich damit auf eine Romanfigur, einen Kleriker dieses Namens aus dem sechzehnten Jahrhundert, der sich den jeweils herrschenden religiösen Strömungen sehr rasch anzupassen verstand und, sobald der regierende Monarch wechselte, zwischen protestantischen und katholischen Riten munter hin- und herpendelte. Tiere mit sexueller Fortpflanzung, so sagte man, seien ebenso wie dieser flexible Vikar sehr anpassungsfähig und veränderten sich rasch. Diese Vikar-von-Bray-Lehre hat nahezu ein Jahrhundert überlebt. In manchen Biologielehrbüchern begegnet man ihr noch heute. Wann genau sie zum erstenmal in Frage gestellt wurde, ist schwer zu sagen. Es gab bereits in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts erste Zweifel daran. Die modernen Biologen begriffen erst nach und nach, daß die Weismannsche Logik unter schweren Mängeln litt. Sie schien die Evolution als eine Art Gebot zu behandeln, so als existierten Arten nur, um sich durch Evolution weiterzuentwickeln – als sei Evolution das Ziel aller Existenz. 7
    Das ist natürlich Unsinn. Evolution ist etwas, das Organismen geschieht.
    Es ist ein ungerichteter Vorgang, der die Nachkommen eines Tieres zuweilen komplexer, zuweilen aber auch einfacher macht und sie manchmal auch gleichbleiben läßt. Wir sind so in der Sichtweise von Fortschritt und Optimierung gefangen, daß es uns merkwürdig schwer fällt, so etwas zu akzeptieren. Aber niemand hat dem Quastenflosser, einem in der Nähe von Madagaskar lebenden urtümlichen Fisch, der heute noch genauso aussieht wie seine Vorfahren vor dreihundert Millionen Jahren, mitteilen können, daß er gegen irgendein Gesetz verstoßen hat, weil er sich nicht evolutionsgemäß weiterentwickelt hat. Der Vorstellung, Evolution könne einfach nicht rasch genug ablaufen, und dem unmittelbar daraus folgenden Schluß, der Quastenflosser sei ein Fehlschlag, weil er sich nicht zum Menschen entwickelt hat, läßt sich leicht entgegentreten. Bereits Darwin bemerkte, in welch dramatischer Weise die Menschheit in das Evolutionsgeschehen eingriff und es künstlich beschleunigte, als sie in einem –

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