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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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waren. (Man erklärte den Studenten dabei, sie sollten in dem Raum lediglich warten, bis ein anderes Experiment beendet sei.) Bei jeder Bestimmung des Erinnerungsvermögens für Gegenstände und örtliche Gegebenheiten schnitten die weiblichen Studenten sechzig bis siebzig Prozent besser ab als die Männer. Die alten Witze darüber, daß Frauen alles finden beziehungsweise, ihre Männer Sachen im ganzen Haus verlieren und die Frauen fragen müssen, wo sie sind, treffen also ins Schwarze. Der Unterschied entsteht etwa zum Zeitpunkt der Pubertät, genau wie sich auch die sozialen und verbalen Fähigkeiten von Frauen mit der Pubertät über die der Männer hinaus entwickeln. 8
    Verfährt sich eine Familie mit dem Auto, dann ist es die Frau, die anhalten und nach dem Weg fragen will, während der Mann darauf besteht, den Weg anhand von Karten und Wegweisern selbst zu finden. Das Klischee ist so verbreitet, daß es ein Körnchen Wahrheit enthalten muß.
    Und es paßt zu dem, was man über die Geschlechter weiß. Für einen Mann kommt es dem Eingeständnis einer Niederlage gleich, wenn er anhält und nach dem Weg fragt, etwas, das ein statusbewußter Mann um jeden Preis zu verhindern sucht. Für eine Frau zeugt es von gesundem Menschenverstand und ist Ausdruck ihrer Fähigkeit zu sozialem Verhalten.

Angeborenes und Erworbenes sind keine Gegensätze
    Auch diese sozialen Fertigkeiten haben unter Umständen ihren Ursprung im Pleistozän. Eine Frau muß sich auf ihr Einfühlungsvermögen und ihre sozialen Fähigkeiten verlassen können: Sie muß Bindungen innerhalb des Stammes knüpfen, Männer dazu bringen, daß sie ihr helfen, mögliche Partner richtig einschätzen und ihre Mutterschaft vorantreiben. Das soll nun nicht heißen, alle Unterschiede seien rein genetischer Natur. Es könnte durchaus so sein, daß Männer einfach mehr Karten und Frauen mehr Romane lesen. Vielleicht ist alles nur eine Frage des Trainings: Frauen beschäftigen sich mehr mit Charakteren, und daher haben ihre Gehirne mehr Übung darin. Doch woher kommt diese Vorliebe? Vielleicht ist es Prägung. Frauen lernen, ihre Mütter nachzuahmen, und diese haben mehr Interesse für Charaktere als für Karten. Woher haben dann die Mütter dieses Interesse? Von ihren Müttern? Selbst wenn man einmal davon ausgeht, daß Eva einst willkürlich beschlossen hat, sich mehr für Charaktere zu interessieren als Adam, entgeht man der Tatsache der genetischen Manifestation nicht, denn Evas weibliche Nachfahren wären, indem sie sich auf ihre gegenseitigen Charaktere konzentrierten, in demselben Maße erfolgreicher gewesen, wie ihre Fähigkeiten zur Einschätzung von Charakter und Stimmung überlegener waren, so daß sich die Gene für eine bessere Urteilsfähigkeit hinsichtlich dieser Eigenschaften ausgebreitet haben müssen. Wenn solche Fertigkeiten aber genetisch beeinflußt wären, dann könnten Menschen nicht verhindern, daß sie durch Gene dahingehend beeinflußt werden, daß sie eine Vorliebe für das entwickeln, was sie von Natur (und ihrer Genetik) aus gut können, und damit bestehende genetische Unterschiede durch kulturelle Prägung verstärken.
    Dieses Phänomen – daß Leute sich auf Dinge spezialisieren, die sie gut können, und sich so Bedingungen schaffen, die ihren Genen entsprechen – kennt man auch unter dem Namen Baldwin-Effekt, nach James Mark Baldwin, der es im Jahre 1896 zuerst beschrieb. Eine solche Überlegung führt zu der Schlußfolgerung, daß die Evolution durch bewußte Entscheidungen und durch Technologie beeinflußt werden kann, eine Vorstellung, die von Jonathan Kingdon in seinem vor kurzem erschienenen Buch Self-made Man and his Undoing 9 ausführlich behandelt wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß ein sehr stark der Prägung unterworfenes Merkmal jeglicher biologischen Grundlage entbehren könnte. Erworbenes beeinflußt Angeborenes grundsätzlich in irgendeiner Form, nur sehr selten allerdings kämpft es aktiv dagegen an. (Eine Ausnahme bildet vielleicht die Aggressivität, die sich trotz immerwährender elterlicher Entmutigung bei Jungen stärker entwickelt.) In Amerika sind dreiundachtzig Prozent aller Mörder und dreiundneunzig Prozent aller betrunkenen Autofahrer männlichen Geschlechts. Es ist nur schwer vorstellbar, daß dies nur auf Prägung zurückzuführen sein soll. 10 Für einen Nichtwissenschaftler ist es kaum nachvollziehbar, wie revolutionär die Konsequenzen aus diesen Überlegungen einst wirken mußten, als sie

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