Eros und Evolution
Fischen und Vögeln begegnet.
Dort hatte es zu gleichen Teilen für eine Überbetonung geschlechtsspezifischer Ornamente und für eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber dem Parasitenbefall gesorgt. In den vergangenen Jahren haben sich mehr und mehr Indizien dafür gefunden, daß Testosteron nicht nur den Körper und eventuell vorhandene Ornamente beeinflußt, sondern auch das Gehirn. Testosteron ist eine urtümliche Substanz, die sich bei allen Wirbeltieren in mehr oder weniger derselben Gestalt findet. Seine Konzentration hat nachweislich direkten Einfluß auf die Aggressivität, denn bei Vögeln mit vertauschten Geschlechterrollen, wie die Wassertreter, und bei den von Weibchen beherrschten Clans der Hyänen haben tatsächlich die Weibchen den höheren Testosteronspiegel. Testosteron maskulinisiert den Körper: Ohne dieses Hormon bleibt der Körper weiblich, was immer die Gene sagen mögen. Es maskulinisiert das Gehirn ebenso.
In den meisten Fällen singt bei Vögeln nur das Männchen. Ein Zebrafink singt nur, wenn er genügend Testosteron im Blut hat. Unter dem Einfluß des Hormons wächst der Teil des Gehirns, in welchem der Gesang erzeugt wird, und der Vogel beginnt zu singen. Sogar ein weiblicher Zebrafink singt, wenn man ihn früh in seinem Leben und später als Erwachsenen mit Testosteron behandelt. Mit anderen Worten: Testosteron prägt das Gehirn des jungen Zebrafinken dahingehend, daß es später im Leben auf Testosteron reagieren und so die Fähigkeit entwickeln wird zu singen. Falls man von einem Zebrafink sagen kann, er besitze ein Bewußtsein, so ist Testosteron eine Droge, die sein Bewußtsein erweitert.
Für den Menschen gilt im großen und ganzen dasselbe. Hier kamen die Beweise aus einer Reihe natürlicher (und unfreiwiliger) Experimente.
Die Natur hat manche Männer und Frauen mit ungewöhnlichen Hormonverhältnissen ausgestattet, und in den fünfziger Jahren haben die Ärzte dasselbe getan, indem sie schwangeren Frauen bestimmte Hormone injizierten. Frauen, die unter dem sogenannten Turner-Syndrom leiden, kommen ohne Eierstöcke zur Welt und haben noch weniger Testosteron im Blut als Frauen mit Eierstöcken (Eierstöcke produzieren ebenfalls Testosteron, wenn auch in geringeren Mengen als die Hoden).
Diese Frauen sind in ihrem Verhalten extrem feminin, sie haben ein überaus großes Interesse an Babys, Kleidung, Haushaltsdingen und Romantik. Auch Männer mit einem geringen Testosteronspiegel – Eunuchen beispielsweise – sind bekannt für ihre feminine Erscheinung und Haltung. Männer, die als Embryos ungewöhnlich geringen Mengen Testosteron ausgesetzt gewesen sind, beispielsweise die Söhne von Diabetikerinnen, denen während der Schwangerschaft weibliche Hormone verordnet wurden, sind schüchtern und betont zurückhaltend.
Männer mit sehr viel Testosteron dagegen sind streitlustig. Frauen, deren Mütter in den fünfziger Jahren während ihrer Schwangerschaft Progesteron-Injektionen erhielten (um einer Fehlgeburt vorzubeugen), berichteten später von sich, sie seien im Kindes- und Jugendalter sehr burschikos gewesen. Progesteron ist in seiner Wirkung Testosteron nicht unähnlich. Mädchen, die mit einem sogenannten adrenogenitalen Syndrom (AGS) geboren werden, sind ähnlich burschikos. Bei ihnen produzieren die Nebennieren statt normaler Mengen von Cortisol einen Überschuß an Hormonen und Hormonvorstufen, die mit dem Testosteron verwandt sind. 15
Beim Menschen liegen die Verhältnisse ein bißchen so wie bei den Zebrafinken, denn auch bei Jungen gibt es zwei Zeiträume, in denen der Testosteronspiegel hoch ist: im Mutterleib etwa ab der sechsten Woche nach der Empfängnis und während der Pubertät. Anne Moir und David Jessel formulieren es in ihrem Buch Brain Sex (deutsch: Brain Sex. Der wahre Unterschied zwischen Mann und Frau) so: Der erste Hormonschub belichtet den Negativfilm, der zweite entwickelt ihn. 16 Hier liegt der grundlegende Unterschied zu der Art, wie Testosteron die Entwicklung des Körpers beeinflußt. Wie auch immer die Erfahrung im Mutterleib ausgesehen haben mag, in der Pubertät wird der Körper durch das Testosteron der Hoden maskulinisiert. Nicht so das Gehirn. Der Verstand ist Testosteron gegenüber immun, es sei denn, er war im Mutterleib einer hinreichend hohen Testosteronkonzentration (im Vergleich zur Konzentration an weiblichen Hormonen) ausgesetzt. Es dürfte ganz einfach sein, eine Gesellschaft ohne geschlechtsspezifische Verhaltensunterschiede
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