Eros und Evolution
empfänglich dafür, den Buchfinkengesang zu erlernen. Während dieser sechs Wochen aber hört es alle möglichen Dinge: In meinem Garten zum Beispiel Autos, Telefone, Rasenmäher, Donner, Krähen, Hunde, Spatzen und Stare.
Und doch imitiert es nur den Gesang des Buchfinken. (Wäre es eine Drossel oder ein Star, könnte es in der Tat einige der anderen Geräusche nachahmen – ein Vogel in Großbritannien brachte es fertig, das Geräusch eines klingelnden Telefons nachzuahmen, und richtete einiges Unheil unter friedlich sonnenbadenden Anwohnern an 10 .) Beim Lernen ist so etwas häufig der Fall: Seit den Arbeiten von Niko Tinbergen und Peter Marier aus den sechziger Jahren ist wohlbekannt, daß Tiere nicht alles und jedes lernen; sie lernen, was ihre Gehirne lernen »wollen«.
Männer fühlen sich dank des Zusammenwirkens ihrer Gene und ihrer Hormone instinktiv zu Frauen hingezogen, in einer bestimmten Phase unterliegt dieser Hang jedoch einem starken Einfluß von Rollenbildern, Gruppenzwang und eigenem Willen. Es gibt Lernen, aber es gibt auch bestimmte Prädispositionen.
Ein heterosexueller Mann hat am Ende seiner Pubertät mehr als nur eine allgemeine sexuelle Präferenz für alle Frauen. Er hat eine genaue Vorstellung von schön und häßlich. Manche Frauen faszinieren ihn, andere sind ihm gleichgültig, wieder andere findet er abstoßend. Ist das auch etwas, was ihm durch eine Mischung aus Genen, Hormonen und sozialem Druck zugefallen ist? Vermutlich ja, die interessante Frage aber ist: Wieviel von jedem? Wäre der soziale Druck alles, dann wären die Bilder und Lehren, die wir Jugendlichen durch Filme, Bücher und Werbung vermitteln, von entscheidender Bedeutung. Wenn nicht, dann ist die Tatsache, daß Männer beispielsweise schlanke Frauen bevorzugen, von Genen und Hormonen bestimmt und keine kurzlebige Mode.
Stellen Sie sich vor, Sie wären Marsianer und interessierten sich für Beobachtungen am Menschen, ebenso wie William Thorpe sich für Buchfinken interessierte. Sie wollen herausfinden, woher Menschen ihre Schönheitsstandards beziehen. Also isolieren sie Jungen und führen einem Teil davon endlos Filme vor mit dicken Männern, die dicke Frauen anbeten und von diesen angebetet werden, während schlanke Männer und Frauen verschmäht werden. Andere lassen Sie bar jeden Kontakts zu Frauen aufwachsen, so daß bei ihnen im Alter von zwanzig Jahren die Entdeckung, daß es Frauen gibt, einen regelrechten Schock auslöst.
Es ist recht aufschlußreich, darüber zu spekulieren, wie das Experiment des Marsianers wohl ausgeht. Was nun folgt, ist der Versuch, aus sehr viel weniger drastischen Experimenten und Tatsachen dasselbe Ergebnis zusammenzustückeln. Welche Art Frau würde ein Mann vorziehen, der noch nie Frauen gesehen und sich von dem Schock einer ersten Begegnung mit ihnen erholt hat? Alte oder junge? Dicke oder dünne? Und würde der Mann, der in dem Glauben aufgewachsen ist, dick sei schön, wirklich dicke Frauen schlanken Fotomodellen vorziehen? Vergessen Sie nicht den Grund dafür, daß wir uns hier mit männlichen Präferenzen beschäftigen. Aus dem letzten Kapitel haben wir gelernt, daß Männer mehr auf die physische Erscheinung einer Frau achten als umgekehrt und daß dies einen guten Grund hat: Jugend und Schönheit eignen sich als Hinweise auf den Wert einer Frau als potentielle Mutter besser als auf den Wert eines Mannes als potentiellen Vater. Frauen sind Jugend und Gesundheit nicht gleichgültig, doch legen sie mehr Wert auf andere Qualitäten als Männer.
Schlanke Frauen
Mode aber ändert sich. Wenn Schönheit eine Frage der Mode ist, kann sie sich ändern, wie sehr auch immer sie einem Diktat unterworfen sein mag. Betrachten wir einen Aspekt, hinsichtlich dessen sich die Definition von Schönheit in den vergangenen paar Jahren offenbar drastisch geändert hat. Der Herzogin von Windsor wird die Feststellung zugeschrieben, eine Frau könne »weder zu reich noch zu schlank sein«, doch selbst sie wäre angesichts der Abgezehrtheit eines modernen Fotomodells vermutlich sprachlos. Um es mit den Worten Roberta Seids auszudrücken, Schlankheit war in den fünfziger Jahren ein Mangel, in den sechziger Jahren wurde sie zum »Mythos«, zur »Sucht« in den siebziger und zur »Religion« in den achtziger Jahren. 11 Tom Wolfe prägte für Frauen aus der New Yorker Gesellschaft, die der Mode wegen hungern, den Begriff der »Society-Röntgenbilder«. Das Körpergewicht der zur Miss Amerika gekürten
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