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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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verhindern.
    Vielleicht sind sie das gar nicht.
    Freuds Rivale auf diesem Gebiet war ein Mann namens Edward Westermarck, der im Jahre 1891 die Ansicht äußerte, Männer unterhielten deshalb keine sexuellen Beziehungen zu ihren Müttern und Schwestern, weil für sie keine besondere Anziehungskraft von Menschen ausgehe, mit denen sie aufgewachsen seien. Westermarcks Idee war einfach.
    Männer und Frauen können Verwandte nicht als solche erkennen, und deshalb haben sie keine Möglichkeit, der Inzucht bewußt aus dem Wege zu gehen. (Wachteln sind merkwürdigerweise dazu in der Lage: Sie erkennen Brüder und Schwestern auch dann, wenn sie getrennt aufgezogen wurden.) Aber sie können sich einer einfachen psychologischen Regel bedienen, die in neunundneunzig von hundert Fällen dazu taugt, eine inzestuöse Verbindung zu verhindern. Sie können es vermeiden, sexuelle Beziehungen zu solchen Menschen einzugehen, die sie von frühester Kindheit an sehr gut kennen. Damit erreicht man eine sexuelle Aversion gegenüber seinen nächsten Verwandten. Das verhindert zwar zugegebenermaßen keine Ehen zwischen Cousin und Cousine, aber dagegen ist im Grunde nicht allzuviel einzuwenden: Das Risiko, daß aus einer solchen Beziehung ein nachteiliges rezessives Gen hervorgeht, ist gering, und die Vorteile einer genetischen Allianz zur Erhaltung von Genkomplexen, die der Kooperation miteinander angepaßt sind, überwiegen es vermutlich. (Wachteln ziehen es vor, sich mit Cousins ersten Grades zu paaren, statt mit Fremden.) Natürlich wußte Westermarck dies nicht, aber es stützt sein Argument, denn es macht deutlich, daß die einzigen inzestuösen Verbindungen, die Menschen vermeiden sollten, die zwischen Bruder und Schwester und zwischen Eltern und Kind sind. 3
    Aus Westermarcks Theorie lassen sich einige einfache Vorhersagen ableiten: Stiefgeschwister sollten sich im allgemeinen nicht zueinander hingezogen fühlen, es sei denn, sie sind getrennt aufgewachsen. Sehr enge Kindheitsfreundschaften dürften demnach in der Regel nicht in eine Ehe münden. Die besten Indizien dafür stammen aus zwei Quellen: aus den israelischen Kibbuzim und aus einem alten chinesischen Heiratsbrauch. In den Kibbuzim werden die Kinder zusammen mit nichtverwandten Freunden in Krippen erzogen. Es bilden sich lebenslange Freundschaften, aber Ehen zwischen Krippenfreunden sind sehr selten.
    In Taiwan praktizieren manche Familien die shim-pua- Heirat , bei der ein Mädchen vom Säuglingsalter an in der Familie ihres künftigen Ehemannes aufwächst. Sie heiratet also auf diese Weise ihren Stiefbruder.
    Diese Ehen bleiben häufig kinderlos, in erster Linie deshalb, weil sich die beiden Partner gegenseitig unattraktiv finden. 4 Dagegen ist es umgekehrt häufig der Fall, daß sich zwei getrennt aufgewachsene Geschwister ineinander verlieben, wenn sie einander im richtigen Alter begegnen.
    All das fügt sich zu einem Bild sexuellen Desinteresses zwischen Menschen, die während ihrer Kindheit enge Kontakte zueinander hatten. Geschwisterlicher Inzest wird so, wie Westermarck angenommen hatte, durch die fehlende sexuelle Anziehungskraft der Geschwister zueinander verhindert. Westermarcks Theorie sagt aber noch etwas voraus: Wenn es zum Inzest kommt, dann zwischen Eltern und Kind, insbesondere zwischen Vater und Tochter, weil zum einen der Vater jenseits des Alters ist, in dem Vertrautheit zum sexuellen Desinteresse führt, und zum anderen, weil es meist die Männer sind, die eine sexuelle Beziehung beginnen. Und natürlich ist das die häufigste Form des Inzests. 5 Dies alles widerspricht Freuds These, Inzesttabus seien dazu da, den Menschen inzestuöse Beziehungen zu verbieten. Im Grunde setzt Freuds Theorie sogar voraus, daß der Evolutionsdruck bei der Schaffung eines Mechanismus zur Verhinderung von Inzest nicht nur versagt, sondern das Entstehen nachteiliger inzestuöser Instinkte sogar gefördert hat, die nun durch Tabus unterdrückt werden müssen. Freudianer haben Westermarcks Theorie häufig mit dem Argument kritisiert, sie leugnete die Notwendigkeit von Inzesttabus insgesamt. Tatsächlich aber gibt es nur sehr selten Inzesttabus, die sich mit der Eheschließung innerhalb der Kernfamilie befassen. Die von Freud beobachteten Tabus befassen sich nahezu ausnahmslos mit dem gesetzlichen Verbot der Eheschließung zwischen Cousin und Cousine. In den meisten Gesellschaften besteht keine Notwendigkeit, den Inzest innerhalb der Kernfamilie zu verbieten, denn es besteht so

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