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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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solche Anhäufung und Weitergabe von Wissen wäre es der Menschheit nicht möglich gewesen, eine so reichhaltige und vielfältige Ernährung zu entwickeln, denn die Ergebnisse von Versuch und Irrtum hätten sich nicht addiert, sondern hätten in jeder Generation neu gelernt werden müssen. Damit wären wir beschränkt geblieben auf Früchte und Antilopenfleisch und hätten uns nicht an Knollen, Pilze und ähnliches gewagt. Es gibt eine verblüffende Symbiose zwischen Menschen und einem Vogel, dem afrikanischen Honiganzeiger, die darin besteht, daß der Vogel den Menschen zu einem Bienennest führt und, nachdem dieser das Nest ausgeräumt hat, die Honigreste verzehrt. Dieses erfolgreiche Verhältnis beruht auf der Tatsache, daß die Menschen einander erzählt haben, daß der Vogel ihnen zu Honig verhilft. Um Wissen anzusammeln und dann weiterzugeben, bedarf es eines großen Gehirns und einer gut entwickelten Sprachfähigkeit – daher also die Notwendigkeit für ein großes Gehirn.
    Das Argument ist hieb- und stichfest, doch wiederum gilt es für jeden Allesfresser der afrikanischen Savannen. Paviane müssen auch wissen, wo sie nach was zu suchen haben und ob sie einen Hundertfüßler oder eine Schlange fressen können oder nicht. Schimpansen suchen tatsächlich nach den Blättern einer bestimmten Pflanze, mit der sich Wurminfektionen heilen lassen, und sie verfügen über eine tradierte Kultur des Nüsseknackens. Jedes Tier, das in Gruppen lebt und bei dem sich die Generationen überlappen, kann sich einen Grundstock an Wissen zur Naturgeschichte aneignen, das durch simple Imitation weitergegeben wird. Auch diese Erklärung ist also offenbar nicht ausschließlich für den Menschen gültig. 21

Der Baby-Affe
    Angesichts der hier präsentierten Argumentationsweise fühlt ein Humanist möglicherweise eine gewisse Frustration in sich aufsteigen.
    Schließlich haben wir trotz alledem große Gehirne und benutzen sie auch. Die Tatsache, daß Löwen und Paviane kleine Gehirne haben und damit klarkommen, heißt nicht, daß uns unser Gehirn nicht hilft. Wir kommen eben besser zurecht als Paviane und Löwen. Wir haben Städte gebaut, sie nicht. Wir haben den Ackerbau eingeführt, sie nicht. Wir haben das Europa der Eiszeit kolonisiert, sie nicht. Wir können in Wüste und Regenwald leben, ihnen bleibt nur die Savanne. Das Argument ist nicht unberechtigt, denn ein großes Gehirn gibt es nicht umsonst. Beim Menschen werden achtzehn Prozent der täglich verbrauchten Energie dafür aufgewendet, das Gehirn in Gang zu halten. Es handelt sich damit um ein äußerst kostenintensives Ornament, das da an unserem oberen Körperende sitzt und sich für den Fall bereithält, daß es uns etwa dabei helfen soll, den Ackerbau zu erfinden; so ähnlich, wie die Sexualität eine äußerst kostenaufwendige Gewohnheit ist, die wir betreiben, nur damit es immer wieder zu genetischen Neuerungen kommt (siehe Kapitel 2). Das menschliche Gehirn ist eine beinahe ebenso kostenaufwendige Erfindung wie die Sexualität; das bedeutet, daß sein Vorteil genauso unmittelbar und so weitreichend sein müßte wie der Vorteil der Sexualität. Vor diesem Hintergrund läßt sich gegen die sogenannte neutrale Theorie zur Evolution von Intelligenz, die in den vergangenen Jahren vor allem von Stephen Jay Gould propagiert wurde, einiges einwenden. 22 Der Schlüssel für seine Argumentationsweise findet sich im Konzept der Neotenie – der Aufrechterhaltung jugendlicher Erscheinungsformen bis ins Erwachsenenalter. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß in der menschlichen Evolution die Übergänge vom Australopithecus zum Homo, vom Homo habilis zum Homo erectus und vom Homo erectus zum Homo sapiens von einer Verzögerung und Verlangsamung der körperlichen Entwicklung geprägt sind, so daß der Körper auch im reifen Zustand noch immer jugendliche Merkmale aufweist: eine relativ große Schädelkapsel mit kleinen Kiefern, schlanke Gliedmaßen, unbehaarte Haut, die Unfähigkeit zur Rotation der großen Zehen, dünne Knochen, sogar die äußerlichen Genitalien beim weiblichen Geschlecht – im Grunde sehen wir aus wie Menschenaffenbabys. 23
    Der Schädel eines Schimpansenbabys gleicht eher dem Schädel eines Menschen denn dem eines erwachsenen Schimpansen. Der Schritt vom Affenmenschen zum Menschen war lediglich eine Frage der Veränderung von Genen, die Einfluß auf die Entwicklungsgeschwindigkeit vom juvenilen zum adulten Charakter hatten, so daß wir im ausgewachsenen

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