Eros und Evolution
und dadurch wurde der Mensch zum einzigen Feind des Menschen (von seinen Parasiten einmal abgesehen). »Nur der Mensch selbst konnte eine zur Erklärung seiner eigenen Evolution hinreichende Herausforderung darstellen«, schrieb Alexander. 29
Wohl wahr, aber schottische Kriebelmücken und afrikanische Elefanten sind ebenfalls in gewissem Sinne »ökologisch dominant« – sie übertreffen alle potentiellen Feinde zahlen- oder größenmäßig –, und doch hat keiner von ihnen jemals die Notwendigkeit verspürt, die Relativitätstheorie verstehen zu müssen. Und überhaupt, wo ist der Beweis, daß Lucy ökologisch dominant gewesen ist? Wie immer man es auch betrachtet, ihre Art bildete schließlich nur einen unbedeutenden Teil der Fauna einer trockenen, baumbestandenen Savanne. 30 Unabhängig von Alexanders Überlegungen war Nicholas Humphrey, ein junger Zoologe aus Cambridge, zu einer ganz ähnlichen Schlußfolgerung gelangt. Humphrey begann einen seiner Aufsätze zu diesem Thema mit der Geschichte von Henry Ford, der einst seine Handelsvertreter gebeten haben soll, herauszufinden, welcher Teil von Modell T nie versagt hatte. Sie überbrachten ihm die Antwort, daß dies auf Achsschenkelbolzen zuträfe. Ford ordnete daher an, daß man aus Kostengründen ab sofort eine weniger aufwendige Ausführung verwenden solle. »Die Natur«, so Humphrey, »ist mit Sicherheit ein ebenso umsichtiger Ökonom wie Henry Ford.« 31
Intelligenz muß daher irgendeinem Zweck dienen; sie kann kein teurer Luxus sein. Humphrey definierte Intelligenz als die Fähigkeit, »Verhaltensänderungen auf der Basis gültiger Schlußfolgerungen aus Beobachtungen vorzunehmen«, und erklärte, daß sich Erfindergeist als praktischer Niederschlag von Intelligenz kaum zur Erklärung ihrer Evolution eigne. »Hierfür läßt sich paradoxerweise der Begriff Überlebenstechnologie besser anwenden als der Begriff Intelligenz.« Der Gorilla befindet sich, wie Humphrey ausführt, mit seiner Intelligenz sicher sehr nahe der Grenze dessen, was Tiere zu erreichen imstande sind. Und doch führt er das in technischer Hinsicht anspruchsloseste Leben, das man sich vorstellen kann. Er frißt Blätter, die um ihn herum in Hülle und Fülle wachsen. Das Leben von Gorillas ist jedoch von sozialen Problemen beherrscht. Der Hauptanteil seiner intellektuellen Leistungen besteht darin, andere Gorillas zu beherrschen, sich ihnen zu unterwerfen, ihre Stimmungen zu erkennen und ihr Leben zu beeinflussen.
Auch Robinson Crusoes Leben auf der verlassenen Insel gestaltete sich in technischer Hinsicht relativ geradlinig, erklärt Humphrey. »Schwierig wurden die Dinge für Crusoe erst, als Freitag auf der Bildfläche erschien.« Humphrey ist der Ansicht, daß der Mensch seinen Intellekt in erster Linie für soziale Situationen einsetzt. »Das Spiel sozialer Winkelzüge und Gegenzüge läßt sich ebensowenig einzig auf der Grundlage angesammelten Wissens spielen wie eine Partie Schach.« Der einzelne muß die Konsequenzen seines Verhaltens berechnen und das wahrscheinlich zu erwartende Verhalten der anderen in Betracht ziehen.
Dafür benötigt er zumindest eine vage Vorstellung von seinen eigenen Motiven, um zu erraten, was jemand anderem in einer ähnlichen Situation durch den Kopf gehen mag. »Diese Notwendigkeit zur Erkennung seiner selbst beschleunigte die Entwicklung eines menschlichen Bewußtseins.« 32
Horace Barlow von der Cambridge University meint dazu, daß Dinge, die wir bewußt wahrnehmen, in erster Linie geistiger Natur sind und sich mit sozialen Handlungen beschäftigen: Dessen, wie wir sehen, gehen, einen Tennisball schlagen oder ein Wort schreiben, sind wir uns weitgehend nicht bewußt. Wie in einer militärischen Hierarchie arbeitet auch das Bewußtsein mit einer Politik des »Das-ist-nicht-Ihr-Ressort.«
»Von der Regel, daß man sich dessen, was man anderen mitteilen kann, bewußt ist, dessen, was man nicht mitteilen kann, hingegen nicht, gibt es meines Wissens keine Ausnahme.« 33 John Crook, Psychologe mit einem speziellen Interesse an östlichen Philosophien, sagt im großen und ganzen dasselbe: »Reflexion erhebt somit innere Erkenntnis zu bewußter Wahrnehmung, wodurch sie zum Objekt der verbalen Formulierung und der Weitergabe an andere avanciert.« 34
Was Humphrey und Alexander hier beschreiben, ist im Grunde ein Schachspiel nach den Regeln der Roten Königin. Je schneller – je intelligenter – der Mensch wurde, um so weniger veränderte sich sein
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