Eros und Evolution
»Prinzips«: das »Frühstück-oder-Leben«-Prinzip. Ein Hase, der vor einem Fuchs flieht, rennt um sein Leben – ein starker entwicklungsgeschichtlicher Ansporn, schnell zu sein. Der Fuchs ist lediglich an seinem Frühstück interessiert. Sehr richtig, aber wie steht es mit einer Gazelle, die vor einem Geparden flieht? Füchse können auch von etwas anderem leben als von Kaninchen, Geparden aber fressen nur Gazellen. Ein langsamer Gepard fängt also nichts und stirbt. Eine langsame Gazelle hat unter Umständen Glück und begegnet niemals einem hungrigen Geparden. Der Nachteil liegt also beim Geparden. Dawkins und Krebs stellten fest: In der Regel gewinnt der Spezialist das Wettrüsten. 27
Parasiten sind überragende Spezialisten, aber der Vergleich mit dem Wettrüsten ist bei ihnen weniger zwingend. Der Floh im Ohr des Geparden hat mit diesem, was die Ökonomen ein »gemeinsames Interesse« nennen: Stirbt der Gepard, stirbt auch der Floh. Gary Larson zeichnete einst einen Cartoon, in dem ein Floh mit einem Plakat durch das Fell eines Hunderückens marschierte. Auf dem Plakat stand: »Der Hund ist bald am Ende«: Der Tod des Hundes ist eine schlechte Nachricht für den Floh, selbst wenn der Floh ihn beschleunigt haben sollte.
Die Frage, ob Parasiten davon profitieren, wenn sie ihren Wirt schädigen, wird von den Parasitologen seit vielen Jahren heiß diskutiert.
Wenn ein Parasit einen neuen Wirt zum erstenmal befällt (Myxomatose-Viren die europäischen Kaninchen, das AIDS-Virus den Menschen, der Pest-Bazillus die Europäer des vierzehnten Jahrhunderts), dann ist die von ihm verursachte Krankheit zu Beginn in der Regel ansteckend.
Im Laufe der Zeit nimmt die Ansteckungsgefahr jedoch ab. Manche Krankheiten bleiben aber tödlich, während andere rasch nahezu harmlos werden. Die Erklärung ist einfach: Je ansteckender die Krankheit ist und je weniger widerstandsfähige Wirte vorhanden sind, um so leichter fällt es dem Parasiten, einen neuen Wirt zu finden. Bakterien und Viren, die in nichtresistente Populationen eingeschleppt wurden, haben also keine Probleme mit dem Tod ihres Wirts, denn sie verbreiten sich rasch weiter. Doch wenn die meisten der möglichen Wirte bereits infiziert oder resistent sind und der Parasit nun nicht mehr ohne weiteres den Wirt wechseln kann, dann muß er Vorsicht walten lassen, um sich nicht seine eigene Lebensgrundlage zu entziehen. Ganz ähnlich bewirkt ein Firmenchef, der an seine Beschäftigten appelliert »Bitte streiken Sie nicht, sonst muß die Firma Bankrott anmelden«, weit mehr, wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist, als wenn die Beschäftigten bereits andere Stellenangebote in der Tasche haben. Doch selbst wenn die Ansteckungsgefahr abnimmt, ist der Wirt durch den Parasiten noch immer in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt und steht unter dem Druck, seine Abwehrkräfte zu verbessern, während andererseits die Parasiten ständig versuchen, um diesen Schutzschild herumzukommen und sich auf Kosten des Wirts neue Ressourcen zu erschließen. 28
Künstliche Viren
Verblüffende Beweise für die Tatsache, daß Parasiten und ihre Wirte sich in einem evolutionsgeschichtlichen Wettrüsten befinden, kommen aus einer Quelle, mit der man in diesem Zusammenhang eigentlich nicht rechnet: aus dem Inneren der Computer. Ende der achtziger Jahre hatten die Evolutionsbiologen Gelegenheit, das Entstehen einer neuen Disziplin zu verfolgen. Sie trägt den Namen Künstliches Leben (KL). KL ist eine etwas überhebliche Bezeichnung für Computerprogramme, die so angelegt sind, daß sie unter den gleichen Bedingungen von Replikation, Konkurrenz und Selektion eine Evolution durchlaufen wie natürliches Leben. In gewissem Sinne sind sie der endgültige Nachweis dessen, daß Leben nur eine Sache der Information ist und daß Komplexität durch ungerichteten Wettstreit entstehen und vom Zufall gestaltet sein kann.
Wenn Leben Information gleichzusetzen ist, und wenn Leben von Parasiten angegriffen wird, dann sollte auch Information von Parasiten angreifbar sein. Wenn einst die Geschichte der Computer geschrieben wird, dann wird das erste Programm, dem die Bezeichnung »künstlich am Leben« zuerkannt wird, möglicherweise ein trügerisch einfaches, kleines Zweihundertzeilenprogramm sein, das im Jahre 1983 von Fred Cohen, einem Doktoranden am California Institute of Technology, verfaßt wurde. Das Programm war ein »Virus«, das Kopien seiner selbst in andere Programme hineinschmuggelte – auf die gleiche
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