Eros und Evolution
springen – aus harmlosen Darmbakterien werden krankmachende Organismen – und dies über eine Form des Gentransfers, die sexuellen Vorgängen sehr ähnlich ist. Zum anderen scheinen viele dieser kleinen Ungeheuer die Resistenzgene bereits auf ihren Chromosomen zu tragen, so daß es nur noch darum geht, den Trick zum »Anschalten« des Gens neu zu erfinden. Beim Wettrüsten zwischen Bakterien und Pilzen haben viele Bakterien die Fähigkeit erworben, Antibiotika abzuwehren, eine Fähigkeit, von der sie »gedacht« hatten, sie benötigten sie nicht mehr, wenn sie sich im menschlichen Darm befinden.
Da ihre Lebensspanne im Vergleich zu der ihres Wirts so kurz ist, können Evolution und Anpassung bei Parasiten rascher ablaufen. Innerhalb von ungefähr zehn Jahren ändern sich die Gene des AIDS-Virus in einem Ausmaß, das der Änderung des menschlichen Genoms innerhalb von zehn Millionen Jahren entspricht. Für Bakterien sind dreißig Minuten unter Umständen das ganze Leben. Menschen, bei denen eine Generation ewige dreißig Jahre umfaßt, sind – entwicklungsgeschichtlich betrachtet – Schildkröten.
Wie ein DNA-Schloss geknackt wird
Schildkröten sind nichtsdestoweniger einer stärkeren genetischen Durchmischung unterworfen als Hasen. Austin Burts Entdeckung einer Beziehung zwischen der Länge einer Generation und der Rekombinationsaktivität ist ein Beweis für den Einfluß der Roten Königin. Je länger die Zeitspanne einer Generation ist, desto mehr Rekombinationen sind vonnöten, um Parasiten effektvoll zu begegnen. 33 Bell und Burt stellten darüber hinaus fest, daß die bloße Anwesenheit eines boshaften parasitären Chromosoms namens B-Chromosom ausreicht, um für eine zusätzliche Rekombinationstätigkeit (und damit stärkere genetische Durchmischung) bei einer Art zu sorgen. 34 Sexualität scheint also eine wesentliche Rolle beim Kampf gegen Parasiten zu spielen. Aber wie? Lassen wir für den Moment solche Dinge wie Flöhe und Stechmücken beiseite und konzentrieren wir uns auf Viren, Bakterien und Pilze, die Ursachen für die meisten Krankheiten. Sie sind darauf spezialisiert, in Zellen einzudringen – entweder, wie Bakterien und Pilze, um sie aufzufressen, oder, wie Viren, um ihre genetische Maschinerie zu unterminieren und dazu zu bringen, neue Viren herzustellen. Wie auch immer, sie müssen dazu in die Zellen hineingelangen. Zu diesem Zwecke bedienen sie sich bestimmter Proteinmoleküle, die in andere Moleküle auf der Zelloberfläche hineinpassen – in der Fachsprache: an diese binden. Das Wettrüsten zwischen Parasiten und ihren Wirten dreht sich ausschließlich um diese bindenden Proteine. Parasiten erfinden neue Schlüssel, Wirte ändern die Schlösser. Hier gibt es ein klares Argument für die Theorie der Gruppenselektion: Zu jedem beliebigen Zeitpunkt wird eine Art, die sich sexuell fortpflanzt, viele verschiedene Schlösser besitzen; Mitglieder einer Art, die sich asexuell fortpflanzt, werden dagegen alle dieselbe Art von Schloß haben. Ein Parasit mit dem richtigen Schlüssel kann daher die sich asexuell vermehrende Art binnen kurzem auslöschen, die Art mit sexueller Fortpflanzung hingegen nicht. Das ist die Erklärung für die wohlbekannte Tatsache, daß wir durch die Umwandlung unserer Äcker in Monokulturen mit hochgezüchteten Weizen- oder Maissorten all jenen epidemischen Krankheiten Tür und Tor öffnen, denen wir nur mit Pestiziden begegnen können, die wir in immer größeren Mengen einzusetzen gezwungen sind. 35
Die Aussage der Roten Königin jedoch ist zu gleichen Teilen verzwickter und einleuchtender: Ein Individuum kann durch sexuelle Fortpflanzung Nachkommen mit einer größeren Überlebenswahrscheinlichkeit produzieren als ein Individuum, das Klone seiner selbst produziert. Der Vorteil der Sexualität kann in einer einzigen Generation sichtbar werden, und zwar deshalb, weil jedes Schloß, das in einer Generation bekannt ist, bei den Parasiten einen Schlüssel entstehen läßt, der dazu paßt. Man kann also sicher sein, daß dies das Schloß ist, das man ein paar Generationen später besser nicht mehr haben sollte. Denn bis dahin ist auch der passende Schlüssel bekannt. Es ist die Seltenheit, die belohnt wird.
Spezies mit sexueller Fortpflanzung können auf eine Art Bibliothek verschiedener Schlösser zurückgreifen, die Spezies mit asexueller Vermehrung nicht zur Verfügung steht. Diese Bibliothek kennt man unter zwei langen Begriffen, die mehr oder weniger denselben
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