Eros und Evolution
gelingt, Tausende von Jahren zu überleben, ist bislang unklar, sicher ist jedoch, daß sie dank der Wirkung bestimmter chemischer Substanzen in Holz und Rinde bemerkenswert widerstandsfähig gegen Verfall sind. In der kalifornischen Sierra Nevada liegen die Stämme entwurzelter Mammutbäume, teilweise sind sie von mehrere hundert Jahre alten Wurzeln riesiger Kiefern überwuchert – und doch ist das Holz der Mammutbaumstämme hart und unversehrt. 55
In diesem Zusammenhang lockt übrigens die Spekulation, die merkwürdige Synchronisation der Bambusblüte könne irgend etwas mit Sexualität und Krankheiten zu tun haben. Manche Bambusbäume blühen nur alle 121 Jahre – und zwar überall auf der Welt zum gleichen Zeitpunkt –, danach sterben sie. Dadurch haben ihre Nachkommen alle möglichen Vorteile: Sie müssen nicht mit lebenden Eltern konkurrieren, und die Parasiten sterben mit den Bambuseltern aus. (Ihre Gegenspieler sind dadurch ebenfalls in Schwierigkeiten: Die Blüte ist eine kritische Zeit für Pandas.) 56
Geschlechtslose Schnecken
All das aber sind Beobachtungen aus der Naturgeschichte – keine sorgfältig geplanten wissenschaftlichen Experimente. Es gibt in der Tat nur einige wenige direkte Beweise für die Parasiten-Theorie der Sexualität.
Die bei weitem gründlichste Untersuchung zur Wirkung der Roten Königin wurde in Neuseeland durchgeführt, und zwar von einem besonnenen amerikanischen Biologen namens Curtis Lively, den die Evolution der Sexualität zu faszinieren begann, als er während des Studiums einen Aufsatz zu diesem Thema schreiben mußte. Bald darauf ließ er seine bisherige Forschung im Stich, fest entschlossen, das Problem der Sexualität endlich zu lösen. Er begab sich nach Neuseeland und beobachtete Wasserschnecken aus Flüssen und Seen. Dabei stellte er fest, daß es in vielen Populationen keine Männchen gab und daß die Weibchen Nachkommen auf jungfräulichem Wege produzierten. In anderen Populationen hingegen paarten sich die Weibchen mit Männchen und erzeugten Nachkommen, die sich ihrerseits sexuell vermehrten. Somit konnte er Proben der Schneckenpopulationen nehmen, die Zahl der Männchen bestimmen und hatte damit ein ungefähres Maß für das Vorkommen von Sexualität. Seine Überlegung war die: Wenn die Vikar-von-Bray-Theorie richtig wäre und Schnecken der Sexualität bedürften, um sich an Veränderungen anzupassen, dann müßte er in Flüssen mehr Männchen finden als in Seen, da Flüsse sich ständig verändernde Lebensräume repräsentieren; wäre die Tangled-Bank-Theorie zutreffend, dann sollte er mehr Männchen in Seen als in Flüssen finden, denn Seen sind stabile, dichtbesiedelte Lebensräume; träfen schließlich die Überlegungen der Rote-Königin-Hypothese zu, dann sollte er dort mehr Männchen finden, wo es mehr Parasiten gibt. 57
Es gab mehr Männchen in Seen. Ungefähr zwölf Prozent der Schnecken in einem durchschnittlichen See sind männlichen Geschlechts, in Flüssen sind es im Vergleich dazu lediglich zwei Prozent. Die Vikar-von-Bray-Theorie scheidet damit aus. Allerdings gibt es in Seen mehr Parasiten. Die Theorie der Roten Königin ist damit also nicht ausgeschlossen. Tatsächlich wirkte die Rote Königin um so vielversprechender, je genauer er hinsah. Ohne Parasiten gab es keine Populationen mit hohem Anteil an Sexualität. 58
Die Tangled-Bank-Theorie konnte Lively damit aber nicht fallenlassen.
Er kehrte daher nach Neuseeland zurück und wiederholte seine Studie, diesmal aber mit dem Ziel, festzustellen, ob die Schnecken und ihre Parasiten sich einander in genetischer Hinsicht angepaßt hatten. Er entnahm einem See Parasiten und versuchte, Schnecken aus einem See auf der anderen Seite der Southern Alps damit zu infizieren. In jedem Fall waren die Parasiten erfolgreicher bei der Infektion von Schnecken aus ihrem eigenen See. Zunächst klingt das wie eine schlechte Nachricht für die Rote Königin, Lively erkannte jedoch, daß dem nicht so ist. Wenn man eine größere Resistenz im Heimatsee erwartet, hat man eine sehr wirtsorientierte Sichtweise. Der Parasit versucht ununterbrochen, die Verteidigungsmechanismen seines Wirts zu unterlaufen, daher ist er in seinem Bestreben, seine Schlüssel so zu ändern, daß sie in die Schlüssellöcher der Schnecke passen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit immer nur einen molekularen Schritt hinter der Schnecke zurück.
Schnecken aus anderen Seen haben völlig andere Schlösser. Da aber der fragliche Parasit, ein
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