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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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alle fünfzig Generationen ein Gen ändern. Manchmal erscheinen merkwürdige Wellen und Kreise, manchmal reines Chaos, und die beiden Linien füllen den Würfel mit bunten Spaghetti. Auf befremdliche Art und Weise lebt das Ganze. 50
    Natürlich entspricht das Modell der wirklichen Welt kaum: Es bringt die Auseinandersetzung ihrem Ende um kein bißchen näher als das Modell eines Kriegsschiffes, das beweisen soll, daß ein richtiges Kriegsschiff schwimmen kann. Aber es trägt dazu bei, die Bedingungen zu definieren, unter denen die Rote Königin auf ewig rennen wird: Eine extrem vereinfachte Version eines menschlichen Wesens und eine grotesk vereinfachte Version eines Parasiten verändern kontinuierlich ihre Gene in zyklischer und zufälliger Weise. Sie ruhen nie, sie rennen unablässig, ohne jemals irgendwohin zu gelangen, und kommen am Ende an ihren Anfang zurück – solange beide sich sexuell fortpflanzen. 51

Sex in großen Höhen
    Hamiltons Krankheitstheorie kommt in vieler Hinsicht zu denselben Vorhersagen wie Alexej Kondraschows Mutationstheorie, der wir im letzten Kapitel begegnet sind. Um auf die Analogie mit dem Rasensprenger und dem Regenguß zurückzukommen: Beide können erklären, weshalb die Auffahrt naß ist. Welche Erklärung aber ist die richtige? In den letzten Jahren haben die Erkenntnisse der Ökologie die Waagschale in Hamiltons Richtung sinken lassen. In bestimmten Lebensräumen sind Mutationen häufig und Krankheiten selten: Auf Berggipfeln zum Beispiel gibt es sehr viel mehr ultraviolettes Licht von jener genschädigenden Qualität als in der Ebene, Mutationen entstehen leichter. Wenn Kondrashow also recht hätte, dann müßte in großen Höhen die sexuelle Fortpflanzung häufiger sein. Das ist sie nicht. Alpenblumen sind vielfach Vertreter von Pflanzengruppen mit sehr vielen asexuellen Varianten. In manchen Pflanzengruppen vermehren sich die den Berggipfeln am nächsten wachsenden Populationen asexuell, während die weiter unten wachsenden sich sexuell fortpflanzen. Bei fünf Arten der Townsendia finden sich die Populationen mit asexueller Vermehrung alle in größeren Höhen als die Populationen mit sexueller Vermehrung. Bei Townsendia condensata, die nur in großen Höhen vorkommt, hat man bisher überhaupt nur eine einzige Population mit sexueller Vermehrung gefunden, und das war die dem Meeresspiegel am nächsten lebende. 52 Nun gibt es dafür natürlich alle möglichen Erklärungen, die mit Parasiten überhaupt nichts zu tun haben: Je höher man geht, um so kälter wird es, und um so weniger kann man sich auf Insekten zur Bestäubung einer Pflanze mit sexueller Vermehrung verlassen. Doch wenn Kondraschow recht hätte, dann sollte die Notwendigkeit, Mutationen zu bekämpfen, solche Faktoren überbieten. Dieser Höheneffekt spiegelt sich im übrigen auch in einem ähnlichen Effekt hinsichtlich der geographischen Breite wider. Mit den Worten eines Lehrbuches: »Es gibt Zecken und Läuse, Käfer, Fliegen, Motten, Grashüpfer, Tausendfüßler und viele weitere Arten, bei denen auf dem Weg von den Tropen zu den Polen die Männchen verschwinden.« 53
    Eine weitere Tatsache, die sich im Einklang mit der Parasiten-Theorie befindet, ist, daß die meisten Pflanzen mit asexueller Vermehrung kurzlebige einjährige Pflanzen sind. Langlebige Bäume stehen vor einem besonderen Problem, denn ihre Parasiten haben Zeit, sich an die genetische Verteidigung der Bäume anzupassen – eine Evolution zu durchlaufen. Wenn Douglasien von Schildläusen (amorphen »insektoiden« Tröpfchen, die kaum Ähnlichkeit mit einem Tier haben) befallen werden, sind zum Beispiel stets die älteren Bäume stärker betroffen als die jüngeren.
    Durch die Verpflanzung dieser Insekten von einem Baum zum anderen konnten zwei Wissenschaftler zeigen, daß die Ursache dafür die bessere Anpassung der Insekten ist und nicht die Schwäche älterer Bäume.
    Bäume, die Nachwuchs produzieren würden, der mit ihnen genetisch identisch ist und auf dem sich die gut angepaßten Insekten unverzüglich niederlassen könnten, würden ihren Nachkommen keinen Gefallen erweisen. Statt dessen pflanzen sich diese Bäume sexuell fort und produzieren lauter verschiedene Nachkommen. 54
    Vielleicht begrenzt Krankheit die Lebensdauer generell: Es hat wenig Sinn, sehr viel länger zu leben, als die im eigenen Körper lebenden Parasiten brauchen, um sich an den Organismus anzupassen. Wie es Eiben, Bristlecone-Kiefern und den riesenhaften Mammutbäumen

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