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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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nicht drum«, rät der schlaftrunkene
Gatte.
    »Ich sage dir, ich hab die schon irgendwo mal gesehen.«
    »Hör auf. Die Schulz trägt den Müll raus und putzt die Treppe. Mehr
interessiert uns nicht.«
    Leider hört Frau Brötzmann nicht auf den weisen Rat ihres Gatten und
möchte sich wichtig machen. Problem eins: das Fahndungsfoto der Sofie Kramer
hat nurmehr entfernt Ähnlichkeit mit der Inge Schulz von heute, Problem zwei:
Zugeben, daß sie Westfernsehen guckt, will Frau Brötzmann ja auch nicht. Obwohl
es jeder tut, aber damit angeben?
    Was bleibt ihr also, um sich wichtig zu machen, andererseits
unverbindlich zu bleiben? Eine anonyme Eingabe beim Abschnittsbevollmächtigten,
man solle Frau Schulz doch mal überprüfen, die Ähnlichkeit mit der gesuchten
Sofie K. sei auffallend bis besorgniserregend.
    Es kommt zu heftigen Verwicklungen, die Hierarchien der
DDR geraten aneinander, Behörden, die etwas wissen, geraten an Behörden, die
nicht so viel oder gar nichts wissen, es gibt Behörden, von denen keine andere
Behörde etwas weiß, das ist alles sehr komplex und kompliziert. Staub wirbelt
auf, ein Machtwort wird nötig, von ganz weit oben. Frau Brötzmann (nach einem
Handschriftenvergleich schnell ermittelt) bekommt Besuch, klare (eigentlich
eher unklare) Worte gesagt und, halb Trost, halb Korken, den niedersten zivilen
Orden spendiert. Sie wird nie wieder jemanden anzeigen, nicht einmal anonym.
Inge Schulz muß umziehen, aber nicht weit, und zu ihrem Vorteil in eine eben
frei gewordene schlichte Einraumwohnung am Rande des schönen Leipziger Zoos.
Die Arbeitsstelle im Museum wird ihr zum Jahresende gekündigt. Man finde, heißt
es, daß sie genug gearbeitet und sich ein Recht auf einen ruhigen Lebensabend
erworben habe. Inge Schulz, schwer paranoid, trägt sich mit dem Gedanken, daß
ihr Abgang vorbereitet wird, sie leidet jede Nacht unter der Angst, abgeholt zu
werden, schläft kaum noch und pflegt ihre wenigen sozialen Kontakte auf
bisweilen flapsige Art.
    Einer, der sie relativ gut zu kennen glaubt, ist Fritz
Langenscheidt, ihr Getränkehändler, der für treue Kunden manchmal eine Kiste
französischen Wein beiseite legt, wenn er alle halbe Jahre welchen
hereinbekommt. D!O!C!, wie er Buchstabe für Buchstabe betont. Inge wirft nur
einen Blick aufs Etikett, um die Plörre streng von sich zu weisen. Der graue
Mönch hat ihre geistige und körperliche Gesundheit nachhaltig beeinträchtigt,
sie ist bei polnischem Wodka gelandet, so ziemlich das einzige, was an
Importalkohol echte Qualität besitzt.
    »Bist aber streng«, meint Fritz Langenscheidt, »ich hatte dir extra
ne Kiste reserviert. Nimm doch! Kommt so schnell nicht wieder. Biste doof?
Kannste doch gegen alles tauschen. Wennde ihn nicht selber brauchst, istsn
prima Geschenk für Freunde.«
    »Ich hab keine Freunde. Morgen werd ich eh erschossen.«
    »Ja, dann halt nicht. Aus dir wird auch keiner schlau. Wieso willste
denn erschossen werden?«
    Inge Schulz, schon an der Tür, dreht sich um, sieht Herrn
Langenscheidt, 45, graumeliert, tränensäckig, mehlig und speckig zugleich, mit
durchdringendem, fast aufdringlichem Blick an und fragt: »Liebst du mich?«
    »Ich was?« Der Getränkehändler, zweifacher Vater, seit neuestem Opa,
glaubt, er habe sich verhört. Inge Schulz grinst ihm ins Gesicht.
    »Wenn mich mein Spirituosenhändler nicht liebt – wer dann?«
    »Naja, so gesehn …«
    Er mag diese Frau und ihren seltsamen Humor, er könnte ihr das
sagen, aber sie hat den Laden schon wieder verlassen. Außerdem weiß sie das
auch so.
    Morgens brüllt eine Giraffe. Das ist mal schön.
    Nachts im Museum schreibt Inge ein schlichtes und recht gelungenes
Gedicht, das sie aber vergißt, sobald sie betrunken ist.
     
    ich bin
    am ende
    allein
    am ende
    bin ich
    nicht
    am en
     
    Wie so viele Gedichte landet es im Abfalleimer und später
bei Endewitt. Der, inzwischen bereits zum Oberstleutnant befördert, findet, das
sei doch, für den Fall der Fälle, so müsse er schließlich denken, immer für den Fall der Fälle, ein prima Abschiedsbrief. Wenn man die beiden letzten Zeilen abschneidet.
Konkrete Pläne für eine Beseitigung Inges gibt es aber zu diesem Zeitpunkt
nicht, nur eine vage Direktive. Für den Notfall der Notfälle.
    Inge Schulz leidet unter Halluzinationen. Nachts, wenn sie
ihren Rundgang mit der schweren Taschenlampe (eher eine Art Grubenlampe)
erledigt, hört sie leise Musik, die nur in ihrem Kopf existiert. (Oder? Entlegene
Teile des

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