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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Vergangenheit.«
    »Hättste dir deine Zeit besser einteilen sollen.«
    »Arsch!«
    »Was denn? Hast mich sowieso nie gemocht! Was willst du?« Er redet
mehr für sich, weil Sofie schon gegangen ist.
    »Jetzt kämste an! Blöde Kuh …«
    Post
    Ende 1983 bekam sie, überraschend schnell, den beantragten
Schrebergarten zugeteilt, das half, ihre Selbstmordgedanken ein wenig zu
verflüchtigen. Es war nur eine vorübergehende Stimmungshausse. Talent für
Bepflanzungen jeglicher Art war ihr leider nicht gegeben. Unter ihren Händen
ersoff entweder alles oder verdorrte. Im Jahr darauf will sie Endewitt
überreden, ihr die Ausreise zu gestatten, nicht in die BRD, nein, aber in den
Jemen, sie möchte dort Kinder betreuen oder auf irgendeine andere Weise
nützlich sein. Endewitt lehnt ab und verbietet ihr strikt, einen offiziellen
Ausreiseantrag zu stellen. Er lügt ihr wenigstens nichts vor, er sagt
unzweideutig, daß es keine Möglichkeit für sie gebe, das Land zu verlassen, man
würde notfalls alle dahingehenden Anstrengungen kompromißlos unterbinden .
Sofie weiß, was das bedeutet, und fügt sich. Aber dann –
    Von Brücken richtete sich auf in seinem Bett. Schob eine
Hand unter sein Kopfkissen. Und lächelte.
    »1985, am 11. März, schrieb sie mir eine Postkarte. Das war groß!
Stellen Sie sich vor: Sie suchte Hilfe, und bei mir! Natürlich half mir das enorm bei meiner
Suche. Hört sich vielleicht witzig an, ist es aber nicht. Die Postkarte
verzeichnete keinen Absender. Aber sie teilte mir ihren Namen mit!
Genaugenommen schrieb sie die Postkarte nicht an mich, sondern an Birgit
Kramer, die inzwischen einen Doppelnamen führte. Birgit Kramer-Felsenstein. Die
ich nie ganz aus den Augen verloren hatte. Sie hätte mir die Postkarte nicht
zeigen müssen, ich hätte davon auch anders erfahren, aber sie hat es
schließlich getan. Der Hilferuf war ja eindeutig. Hier, lesen Sie!«
    Von Brücken überreichte mir eine Ansichtskarte von Leipzig. Darauf
war, schwarz-weiß, das voluminöse Dimitroff-Museum zu sehen. Die in fast
kindlicher Handschrift geschriebenen Zeilen lauteten:
    Liebe
Birgit, es geht mir gut.
    Ich
denke oft an die Zeit mit Rolf und dir.
    Die
Ferien hier machen mich zu einem anderen Menschen.
    Grüße
an Alexander den Großen. Wenn Du ihn siehst.
    Inge
Schulz, deine Schwester.
    Geschickt, nicht? Plötzlich war alles anders, als wäre
eine finstere Wolkendecke zerrissen über mir. Da stand ihr Name, ihr neuer
Name, und das Gebäude auf der Vorderseite schien auch ein Hinweis zu sein.
Endlich gab es Fakten, Anhaltspunkte. Man durfte nicht hudeln, es gab die
Möglichkeit, daß die Stasi von der Postkarte etwas mitbekommen hatte. Aber
dieses bißchen Risiko – gepfiffen drauf. Mir war alles klar: Sofie saß fest,
wurde gezwungen, ein anderer Mensch zu sein, und die sogenannten Ferien, die Zwangslage, mußte so groß sein, daß sie nach Alexander dem Großen verlangte. Der einst den gordischen Knoten durchgehauen hat. Ich beriet mich
mit Lukian. Er schien mich erstmal ausnüchtern zu wollen. Da versuche wohl
jemand, mich hochzunehmen, meinte er. Ich solle mir das bloß aus dem Kopf
schlagen. Jemand meiner Kragenweite könne niemals in die DDR einreisen, ohne
observiert zu werden. Und er auch nicht.
    Wir saßen damals hier, so wie wir uns jetzt gegenübersitzen. Und ich
war nicht seiner Meinung. Seit siebzehn Jahren, sagte ich, habe mich niemand
fotografiert. Kein Mensch wisse, wie ich aussehe. Einen Paß wollte ich haben,
einen gut gemachten, glaubwürdigen, so schwer könne das ja nicht sein. Wozu hat
man Beziehungen?
    Im September 85 kommt es zum Zwischenfall Brötzmann .
So heißen die neuen Nachbarn der Inge Schulz im fünften Stock Plattenbau. Herr
und Frau Brötzmann sehen gern, wie jeder hier, Westfernsehen, allerdings
ausschließlich Unterhaltungssendungen, bevorzugt mit Tommy Gottschalk, den
können sie mit ihrem durchaus linientreuen Gewissen gut vereinbaren. Dabei
passiert es des öfteren, daß Herr Brötzmann vor dem Fernseher einschläft und
erst nach Programmschluß aufwacht. Manchmal aber werden vor Nationalhymne und
Programmschluß Fahndungsfotos flüchtiger Terroristen gezeigt. Nicht, daß Frau
Margit Brötzmann daran je sonderlich interessiert gewesen wäre, wenn sie nach
Mitternacht den verschnarchten Gatten ins Ehebett holt. Etwas, und sei es nur
eine skizzenhafte Analogie, bleibt aber hängen. Diese Frau Schulz von nebenan
kommt ihr seither bekannt vor.
    »Margittigitt, komm, kümmer dich

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