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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Gebäudes werden als DEFA-Synchronstudio benutzt.) Gemälde, die sie anleuchtet, wirken verändert, Gesichter tragen Züge voller
Spott und Bosheit. Ihr Leben ist ein Museum geworden. Irgendwo hier, in einer
der dunklen Hallen, denkt sie sich, wird sie wohl selber hängen, vielleicht
liegt sie auch nur in einem der Archive, versteckt in einer Schublade,
vergessen und minderwertig. Ach. Nein, ganz so schlimm ist es nicht. Da hängt
ja ihr Gemälde. Der Maler hat ein unvorteilhaftes Bild von ihr erschaffen.
Purer Fotorealismus. Neue sachliche Traurigkeit. Alt, erstaunt, mit einer
Taschenlampe in der Hand. Das ist gar kein Gemälde. Ist ein Spiegel.
    Am Morgen, nach Feierabend, treibt sich Inge Schulz in der Stadt
herum, will nicht nach Hause, will klar werden an der frischen Luft. Fühlt sich
beobachtet. Sie hat den Wodka ins Klo geschüttet und schaufelt kaltes
Brunnenwasser über ihren Kopf. Betritt eine Kirche, setzt sich in eine der
hintersten Bänke und schläft. Niemand stört, niemand kümmert sich um sie. Bis
ein noch junger Pfarrer, keine dreißig, sie am Ärmel zupft.
    »Wir schließen jetzt.«
    »Was? Wieviel Uhr ist es?«
    »Fast sechs. Sie haben den ganzen Tag geschlafen.«
    »Ich … möchte mit jemandem sprechen.«
    »Worüber?«
    »Ich glaube nicht an Gott. Damit das klar ist.«
    »Möchten Sie?«
    »Nein … Nein.«
    »Sie könnten erstmal so tun, als ob. Oft hilft das schon.« Der
Pfarrer sieht ausgesprochen nett aus, scheint relativ locker zu sein, beinahe
mit Humor gesegnet.
    »Wenn dieser Gott brutal ist? Was dann?«
    »Sprechen Sie mit ihm darüber! Machen Sie ihm Vorwürfe. Eröffnen Sie
einen Dialog.«
    Inge Schulz schüttelt den Kopf. Sie möchte keine Konversation mit
einem Gott führen. Zu einseitig. Sie will mit einem Menschen reden.
    »Na schön. Bitte sehr. Ich stehe zu Ihrer Verfügung.« Der Pfarrer
nimmt neben ihr Platz.
    Inge Schulz setzt mehrmals zu etwas an, denkt dabei an immer neue
Dinge, zittert leicht, erhebt sich dann und verläßt die Kirche, ohne Abschied.
Zuhause angekommen, will sie sich krank melden, vergißt es dann. Das Verlangen
nach Alkohol ist so groß, daß sie sich schämt. Aber daß sie sich schämt, läßt
Grund zur Hoffnung. Sie wird sich nicht betrinken. Höchstens ein bißchen, gegen
den Schmerz. Nur so viel, um die pochenden, brennenden Schläfen taub werden zu
lassen.
    Die Invasion
    Ich bekam meinen Reisepaß. Er war so gut wie echt. Nein,
er war echt, was das rein Technische betraf. So echt, wie ein falscher Paß nur sein
kann. Darüber Genaueres zu erzählen, ist mir leider nicht erlaubt, ist auch
ganz nebensächlich. Ich wollte mit dem Auto in die DDR einreisen, mit
irgendeinem nicht zu auffälligen, aber leistungsfähigen Mittelklassewagen. Ein
Opel Admiral wurde umfrisiert. Das Ding sah alt und schäbig aus und hatte doch
180 PS unter der Motorhaube. Panzerglas in den Fenstern. Eine verstärkte Karosserie.
Und einen zweiten Boden im Kofferraum, in den ein magerer Mensch so eben
reinpaßte. Ja, das hört sich nach Agententhriller an, aber warum nicht? Ich
wollte Sofie herausholen, sagen Sie mir: Was könnte daran nicht nachvollziehbar
sein?
    »Ich hab doch gar nichts gesagt.«
    »Aber so ein Gesicht gemacht!«
    »Ich habe kein Gesicht gemacht.«
    »Guten Tag. Habe mir gedacht, daß Sie wiederkommen.
Vielmehr hatte ich es gehofft.«
    »Hoffnung ist die Fantastik der Ohnmacht. Ist das hier eine
katholische Kirche?«
    »Nein.«
    »Nehmen Sie mir die Beichte ab? Trotzdem?«
    »Sie glauben doch nicht an Gott. Dachte ich.«
    »Das hat mit der Beichte verdammt nichts zu tun. Seien Sie doch maln
bißchen flexibel.«
    Der Pfarrer der Nikolaikirche, Wolfgang Westermüller, ist jemand,
der durchaus flexibel sein kann, sein muß. In diesem Fall stößt er an die
Grenzen seiner Biegsamkeit. Immerhin verspricht er, zuzuhören, wenngleich er
ahnt, daß die Frau sich, während sie mit ihm redet, in Gefahr begibt. Er fühlt
sich verpflichtet, das ihr gegenüber anzudeuten. Sie solle sich darüber klar
sein, daß er von der Staatssicherheit ständig beobachtet und dieses Treffen
sicher protokolliert werde.
    »Ach«, entfährt es Inge Schulz. »Was Sie nicht sagen!« Sie muß
lauthals loslachen. Der Pfarrer, dem ihr Betragen mißfällt, macht eine
flatternde Handbewegung. Sie möge sich im Zaum halten bitte. »Was ist denn Ihr
Problem?«
    »Ich muß etwas verändern und kann nichts verändern. Ich sitze in der
Falle.«
    »Man kann immer etwas verändern.

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