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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Was macht sien da?«
    »Dich treffen. Blödmann!«
    Sie radelte davon, und ich konnte mein Glück nicht fassen. Mein Herz
pumpte wie wild, meine Hände schwitzten. Das schien einfach zuviel Glück. Es
klang bald wie … eine hinterhältige Falle. Oh, ist das ein Pleonasmus? Was
meinen Sie? Einerlei. Selbstverständlich ging ich hin. Immer noch mit der Lanze
bewaffnet, schlich ich mich zur Kiesgrube. Eine riesige Kies-Lehmgrube, mit
drei Kratern, eine recht eindrucksvolle Landschaft, geeignet, ja, wie
geschaffen für Schlachten der Mescaleroapatschen gegen Cowboys und Desperados.
Weit unten, auf dem Grund des größten Kraters saß – Sofie. Spielte mit Steinen,
von denen einige in ihrem Rockschoß lagen. Ich beobachtete die Umgegend. Wir
würden da unten offensichtlich allein sein, ganz allein. Ich warf die Lanze
weg, lief hinunter, gab Obacht, nicht zu stolpern. Was ich fühlte? Finden Sie
bitte Worte dafür! Große Worte! Die Wahrheit ist nun einmal schwülstig, ab und
zu. Sofies Haut leuchtete im Spätlicht. Sie trug ein weißes BDM-Hemd, darunter,
das konnte man erkennen, bereits einen Büstenhalter. Sie sagte drei Buchstaben,
so schnell aufeinander, daß sie ein Wort ergaben.
    »Tag.« Das war nun auch eine Wahrheit und gar nicht sehr schwülstig.
    »Tag.« Es folgte ein längeres Schweigen, nichts geschah, sie sah
sich Steine an.
    »Was machstn hier?« fragte ich.
    »Und du?«
    Ich zuckte nur mit den Schultern. Irgendetwas enorm Schweres saß auf
meiner Zunge, ein bleierner Frosch vielleicht, der seine Backen so sehr blähte,
daß kaum das schmalste Wörtchen an ihm vorbeikam.
    »Ich sammel Steine. Sammelst du auch was?«
    »Nö.«
    »Steine sind schön. Manchmal. Und billig.«
    »Ja?« Wie peinlich war mir dieses Ja! Mein Herz klopfte bis zum
Hals, drückte von unten gegen den Kehlkopf, bis der Bleifrosch einmal quakte,
jenes entsetzlich peinliche Ja ?
    »Wieviel Taschengeld bekommst du?«
    Diese Frage verblüffte mich, ehrlich gesagt, der Frosch schrumpfte,
ich antwortete, wahrheitsgemäß: »Zwei Mark.«
    »Im Monat?«
    »Woche.«
    »Wahnsinn. Ihr seid wirklich reich. Sparst du auf was?«
    »Auf was denn?« Ich begriff nicht, worauf sie hinaus wollte. Und
Sofie fragte, ohne mich dabei anzusehen: »Möchtest du nen Kuß haben?«
    »Von dir?«
    Ja, da lachen Sie jetzt, aber genau das habe ich geantwortet. Sofie
blickte sich um, meinte, ganz richtig, es sei ja sonst kein Mensch hier. Ich
legte den Kopf schräg und nickte, so ungefähr, als ob das zwar sehr weit
hergeholt sei, aber man darüber schon mal spaßeshalber nachdenken könne.
    »Was wärn Kuß dir denn wert?«
    Und ich schwieg. Hilflos, völlig überfordert. Wie kann man einen Kuß
von der Geliebten schnöde taxieren? Jede Antwort wäre gottlos gewesen. Indes.
Sofie wußte eine schockierende Antwort.
    »Fünfzig Mark?«
    Etwas in mir, eine kleine heisere Stimme flüsterte: Sie will einen
Liebesbeweis .
    Bitte sehr, Liebesbeweise sind nun mal kostspielig – aber – fünfzig
Mark! Eine ungeheuerliche Summe.
    »Das ist … gut.« Irgendwie räusperte ich mein Einverständnis, aber
so, daß ich mich immer noch auf ein witziges Rollenspiel hätte herausreden
können. Sofie sah mich lächelnd an und fragte, kühl, beinahe geschäftlich:
»Morgen? Hier? Selbe Zeit?«
    »Mmmhm«, murmelte ich und sie ging, verließ mich, kletterte die
steile Wand hoch, sah sich kein einziges Mal nach mir um.
    Ich war, auf seltsame Weise ebenso erregt wie verwirrt, in der
Geschäftswelt angelangt. Nachts schlich ich mich ins Erdgeschoß, ins
Arbeitszimmer meines Vaters, und stahl ihm aus der Schublade drei
Zehnmarkscheine. Die restlichen zwanzig Mark besaß ich selbst. Ich wünschte mir
beinah, daß er den Diebstahl bemerken würde, ich wollte gezüchtigt werden für
meine Untat. Ein großer, großer Liebesbeweis. Aber mein Vater bemerkte nichts.
Er war zu sehr beschäftigt mit seiner großen Idee, saß im Wintergarten, brütete
über technischen Zeichnungen, von Kerzenlicht umrahmt.
    In dieser Nacht war ich glücklich. Ja. Mein Vater übrigens auch.
Morgens rief er die Familie zusammen, zeigte uns ein Telegramm, er schien
übernächtigt, dennoch euphorisch.
    »Familie!«
    Diese wuchtige Ansprache gebrauchte er nur, wenn es um etwas ganz
Besonderes ging.
    »Der Herr Minister hat sich angemeldet. Zu einem Diner, zu einer
Arbeitsbesprechung, hier in unserem Haus. In gut drei Wochen, am dreizehnten
abends!«
    Meine Mutter begann zu klatschen. Wir Kinder schlossen uns

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