Eros
zögernd
an, ohne zu begreifen, welche Ehre unsrem Haus widerfuhr. Ich sehe noch das
stolz leuchtende Gesicht meines Vaters vor mir. Der Architekt, der nun Hitlers
Rüstung organisierte, überaus erfolgreich, der Vielbeschäftigte, der Liebling
des Führers höchstselbig würde uns besuchen. Damals wußte ich die Bedeutung
dessen freilich nicht einzuschätzen. Aber Papa nahm mich, das tat er sonst fast
nie, auf den Schoß, strich mir durchs Haar und erklärte, dieser Mann sei ein
Titan unsrer Zeit, ein Mann von Stirn und Faust, von Vision und Pragmatismus
zugleich. Es sei ein sehr wichtiges Datum für uns alle . Er erwarte von jedem im Haus Kooperation und Disziplin. »Daß mir da ja nicht das Geringste
schiefläuft!«
Meine Sorgen waren ganz andere. Die Welt mußte nur so lange
standhalten, bis es fünf Uhr nachmittags war, der Rest – egal. Ich radelte zur
Kiesgrube. In der Ferne Sirenen. Aktuelle Luftgefahr. Egal. Ich radelte umso
schneller, kam zum Krater, rief hinunter:
»Sofie?«
Sie saß tatsächlich dort unten, erwartete mich. In der Ferne
Detonationen. Welche Entschuldigung würde ich für meine Eltern erfinden? Egal.
Ich stieg hinunter, setzte mich neben dieses sonderbare Mädchen, sie wirkte
nicht restlos gelassen, nein, aber auch nicht richtig nervös, ein bißchen eben
nur.
Flugzeuge, weit oben am Himmel. Einsetzendes Flak-Feuer.
»Ist das dein erster Angriff im Freien?«
»Ja.«
»Meiner auch.« Sie sagte es, als wäre das angenehm aufregend. Und
zum ersten Mal fiel mir etwas ein, das nicht völlig blödsinnig klang.
»Die Flieger haben freie Sicht. Die werfen ihr Zeug nicht in
Kiesgruben ab.«
Prompt hörten wir einen ziemlich nahen Einschlag. Rückten
unwillkürlich zusammen. Es mag bestimmt unglaubwürdig klingen, aber viel hätte
nicht gefehlt, und wir hätten gelacht.
Plötzlich sagte der Frosch auf meiner Zunge: »Ich liebe dich.«
»Doofkopf. Kennst mich ja gar nicht.«
»Trotzdem.«
»Hast das Geld dabei?«
Ich zeigte ihr die Scheine.
»Du spinnst völlig.«
»Wir sind reich. Nutz es doch aus.«
»Ja. Bringen wirs hinter uns.« Sie legte ihre Arme auf meine
Schultern. Ich bewegte mich fast gar nicht, wollte sie zu nichts drängen. Hatte
ein Küßchen erwartet, wäre damit vollends zufrieden gewesen. Und dann – man muß
sich das vorstellen: Über uns ein todbringendes Feuerwerk am Himmel, und Sofie
küßte mich, wie eine schon erwachsene Frau einen Mann küßt, dem sie sich
hingeben will. Das war so – so überwältigend, das war einer der größten
Augenblicke meines Lebens. Aber halt, ich will nicht lügen. Vielleicht ist es
für die Geschichte ganz egal, aber als wir uns küßten, war droben das Feuerwerk
bereits vorbei, die angreifenden Maschinen hatten abgedreht. Vielleicht ist es
egal, vielleicht bedeutete es was. Das sei Ihnen überlassen. Als Sofie und ich,
vielmehr unsere Lippen, nur unsere Lippen, sich trennten, wurde gerade
Entwarnung gegeben, und sie sagte, sie müsse jetzt heim.
»Wehe, wenn dus irgendwem erzählst …«
Ich gab ihr mein ritterliches Ehrenwort. Und gab ihr das Geld, das
ich die ganze Zeit über in meiner Faust festgehalten hatte. Sie steckte die
Scheine in ihren Kniestrumpf, sah mich etwas streng, doch wohlwollend an und
meinte: »Sei nicht mehr verliebt. Bringt nichts.«
»Wer weiß? Kennst mich ja gar nicht.«
Sie lächelte knapp. Ein wenig grausam. Ich hab es niemandem je
erzählt. Nein, nie. Bis jetzt.
Bei schon weit fortgeschrittener Dämmerung kam ich nach Hause. Meine
Mutter stand in der Auffahrt zur Villa, stürzte mir entgegen, schloß mich in
ihre Arme. Wurde ohnmächtig. Sie war zu schwer für meine Arme, ich mußte sie zu
Boden gleiten lassen und hielt nur ihren Kopf hoch, bis herbeieilende Leute vom
Personal Mama ins Haus schleppten.
Ich muß Ihnen etwas erzählen. Eine kleine Abschweifung. Meine Mutter
litt an anfallsweise auftretenden Depressionen, hielt dies für eine Schande,
weshalb ihre äußere Erscheinung dezent, ja betont unauffällig wirkte, wie um
nicht auf sich aufmerksam zu machen, blass und sanft, wenngleich immer mit
verkniffenen Lippen, hinter denen etwas tobte, von dem wir nicht wußten. Ich
glaube, sie fürchtete, wir Kinder könnten ihre Schwermut geerbt haben, und wenn
eines von uns über Kopfweh klagte, sah man, wie Entsetzen ihre Augen weitete.
Dann betete sie, und das Beten half ihr. Wer sie kaum kannte, mochte den
Eindruck bekommen, sie sei naiv gewesen, eine brave Mutter, ihrem Mann blind
gehorsam. Ich
Weitere Kostenlose Bücher