Eros
nurmehr an mein Gefühl
erinnern. Dieses Gefühl indes war eindeutig: Mein Vater hörte sich ziemlich
überflüssig an. Um es sanft auszudrücken.
Er schwafelte über alte Kirchen, und was sie für die Tradition des
deutschen Volkes bedeuten mochten. Ehrlich gesagt – er war mir ein wenig
peinlich. Am Tisch wurde es laut. Gestikulierende Männer. Keferloher mit Plänen
und Statistiken. Der Minister war als Kriegstreiber, als Befehlshaber hier,
nicht als Architekt. Keferloher bemühte sich tapfer, Zahlen und Fakten zu
präsentieren, auszuhelfen mit dem, woran es meinem Vater an jenem Abend so sehr
mangelte.
»Phantastischer Wein. Der gehörte an die Westfront. Damit unsre
Soldaten wissen, wofür sie dort kämpfen.« Der Minister wurde immer
beschwipster. Anstatt darüber froh zu sein, bat Papa ihn um ein persönliches
Gespräch im Wintergarten.
»Es ist wichtig, Herr Minister. Kriegswichtig.«
Der Minister schien keine Lust zu haben, aber, wenn etwas
kriegswichtig war, was sollte er dem entgegenhalten? Also gingen die beiden in
den Wintergarten, ich wechselte hinauf in den oberen Stock, zum Ofenrohr, und
unten rückte Papa endlich mit seiner Idee heraus.
»Sie haben vielleicht ein falsches Bild von mir gewonnen.«
»Ah ja?«
»Ich habe durchaus einen Sinn für die Belange des deutschen Volkes,
für die Erfordernisse der momentanen Lage, ich entwerfe keineswegs nur für den Frieden, nein. Ich habe etwas ganz Praktisches im Auge. Sehen Sie bitte, ich bin sehr
gespannt auf Ihr Urteil.«
»Was ist das?«
»Das Prinzip des Entwurfs folgt der Erkenntnis, daß von allen
Behältnissen die Eiform die widerstandsfähigste Fläche besitzt. Dank eines
Dreifachröhrensystems in der Mittelhülle mit Verbindung zur Bodenkammer bleibt
bei Verschüttung eine ausreichende Luftzufuhr über einige Stunden gesichert.
Solange es keinen Volltreffer gibt, erträgt der Bunker beinahe jede Druckwelle.
Die Eiform ist ideal gegen herabfallende Trümmer und äußerst platzsparend – es
passen sechs Personen hinein, auf engstem Raum, also Vater, Mutter plus vier
Kinder. Das Projekt könnte in Serie gehn. Wir könnten es ›Volksfamilienbunker‹
nennen.«
»Ein Privatbunker?«
»Ja.«
»Für jeden Haushalt einen?«
»Das nun wieder nicht. Nicht sofort. Die Realisierung kostet schon
eine Kleinigkeit. Vorerst könnte man nur daran denken, vereinzelte …«
Der Minister ließ meinen Vater nicht ausreden.
»Sind Sie völlig von Sinnen? Wissen Sie, was Sie mir hier zumuten?«
Ich hörte, wie die Adjutanten, neugierig geworden, den Raum
betraten. Ich stürmte auf Strümpfen die Treppe hinunter, nahm den
Hinterausgang, schlich mich über die feuchte Wiese und sah von außen durchs
Glas. Auf Knien, von einem Gebüsch ganz gut getarnt.
Wollte meinem Vater zu Hilfe eilen, aber, sobald ich unten war,
verließ mich mein Mut.
Wenigstens, dank der Aufregung, fror ich kaum.
»Volksfamilienbunker!«
Die Adjutanten begannen dämlich zu lachen. Keferloher beherrschte
sich mühsam, mußte aber schwer gegen das in ihm brodelnde Gelächter ankämpfen.
Mein Vater setzte sich. Er hat dieses Gelächter niemals verwunden.
»Mein Gott, wo bin ich gelandet? Herr von Brücken! Für welchen Krieg
haben Sie dieses Ding entworfen? Nichts gegen Ihre Erfindungskraft, vielleicht
funktioniert das sogar, aber überlegen Sie mal: Die Volksgemeinschaft muß –
gerade im Augenblick der Bedrohung – Einigkeit demonstrieren. Ihr
aristokratischer Privatbunker, Ihre ganze neoromanische Verblendung … Welchen
Krieg leben Sie hier eigentlich?«
Der Minister wirkte gar nicht mehr amüsiert, seine Stimme bekam
etwas Bedrohliches.
»Wenn der Krieg verloren geht, gibt es ein Deutschland ohne
romanische, gotische oder sonstwelche Kirchen – begreifen Sie das? Ein
Deutschland ohne Deutschland! Ist Ihnen klar, was dann passieren wird mit uns?
Können Sie sich die historische Konsequenz einer Niederlage vergegenwärtigen?«
Ich sah meinen Vater regungslos weinen. Er wagte es nicht, die
beiden Tränen aus den Augwinkeln zu wischen, saß einfach nur so da, eigentlich
in sitzender Habachthaltung, aber mit Beinen, die ihm den Dienst versagten und
zitterten. Es war so demütigend und peinlich, vor allem deshalb, weil der
Minister vermutlich Recht hatte. Die Schrecken des Krieges, die bisher an uns
so relativ gnädig vorübergegangen waren, drangen in Papa ein, nahmen Besitz von
ihm. Ich glaube, er hatte bis dahin überhaupt nicht begriffen, wie schlimm es
wirklich stand.
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