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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Fauxpas.
    »Herr Minister, meine Gattin … Meine Kinder …«
    Alle gaben wir dem Minister die Hand. Als letzter Keferloher.
    »Heil Hitler! Keferloher. Betriebsleiter. Herr Minister! Eine große
Ehre. Große Ehre.«
    Keferloher hatte die Angewohnheit, gewichtige Satzteile etwas leiser
zu wiederholen.
    Der Minister wirkte müde, aber sympathisch. »Schön. Gehen wir gleich
in medias res?«
    »Bitte sehr, hier entlang. – Kinder!« Er scheuchte uns ins Haus. Die
Papageien folgten aufs Wort, rannten in ihr Zimmer. Soldaten beeilten sich, die
Fackeln zu löschen. Ich hingegen nutzte den Trubel und rannte zum Tor. Die
Schaulustigen verzogen sich schon wieder. Ich zupfte Birgit am Ärmel.
    »Hallo.«
    »Hallo, Pestbeule.«
    »Geht es Sofie gut? Wo ist sie?«
    »Sofie ist weg.«
    »Wohin?«
    »Sie ist tot.«
    Mir blieb das Herz stehen. Und das ist nicht nur so eine Phrase.
    Birgit sah mich an und grinste.
    »Nein. Sie ist landverschickt.«
    Ich holte tief Luft. »Seit wann?«
    »Seit gestern.«
    Ich sah mich um. Mein Vater, zwischen den Soldaten mit den
Maschinenpistolen, rief: »Alexander!«
    Ich sprintete zum Haus. Papa schickte mich die Treppe hinauf. »Jetzt
aber ab!«
    Eine halbe Stunde später brachte meine Mutter mich zu Bett. »Halt
deinem Vater die Daumen! Nein, nicht beide. Nur einen. Zwei bringen Pech. Und
dann schlaf!«
    Soweit die Lage. Licht gelöscht. Sofie. Landverschickt. Das
bedeutete relative Sicherheit. Sofie war weit weg. Irgendwo. Wo keine Bomben
fielen. Sehr weit weg von mir. Ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht, stand
auf, schlich aus dem Zimmer, nahm die Hintertreppe, eine schmale, gußeiserne
Wendeltreppe, landete in der Bibliothek, öffnete den nicht mehr im Betrieb
befindlichen Speisenaufzug, kletterte hinein, schob die Klappe einen Spalt weit
auf, grade genug, daß mir ein enger Sichtschlitz in den Salon gewährt wurde.
    Die Runde war mit dem Abendessen gerade fertig. Meine Mutter empfahl
sich. Da waren nur noch der Minister mit seinen Adjutanten, Papa und
Keferloher. Und Erna, unser häßliches Serviermädchen, das Rotwein in bauchige
Gläser schenkte. Die blauen Glühbirnen wurden nicht ausgewechselt, aber die
Lichtverhältnisse durch sehr viele Kerzen heimeliger gestaltet.
    »Meine Güte!« rief der Minister. »Petrus! Neunzehnzwölfer! Wo haben
Sie denn den her?«
    »Habe mir erlaubt, ein paar Quellen anzuzapfen«, antwortete Papa,
sotto voce.
    »Sollten Sie öfters. Besonders im Hinblick auf Ihre Betriebe.«
    Vieles geschah an diesem einen Abend. Vieles, was ich
damals nicht begriff. Einiges konnte ich mir mit späterem Wissen
zusammenreimen. Die Fabriken meines Vaters hatten kaum Schaden erlitten.
Angesichts dessen blieb deren Produktion hinter den Erwartungen des
Ministeriums zurück. Soviel verstand ich schon damals. Mein Vater muß dem
Minister den ganzen Abend auf die Nerven gegangen sein. Der Minister war hier,
um die Produktion des Betriebs zu steigern, nicht um über Architektur zu
plaudern. Das war meinem Vater wohl entgangen. Da in der Praxis Keferloher die
Fabriken leitete, konnte Papa auf viele Fragen keine Antwort geben. Das ärgerte
den Minister noch mehr.
    »Phantastisch, der Wein.«
    »Danke sehr.«
    »Daß Sie Zeit haben, sich um derlei zu kümmern, wundert mich ehrlich
gesagt nicht, Herr von Brücken.« Der Minister trank nur mäßig, schien aber an
Wein nicht allzu gewohnt, ich bemerkte bald leichte Holprigkeiten in seiner
Aussprache.
    Keferloher eilte Papa zu Hilfe, räusperte sich. »Es geht doch aber
alles ganz korrekt zu. Unser Ausstoß ist, gemessen an den momentanen
Schwierigkeiten, beinahe unverändert. Beinahe unverändert.«
    Was der Minister exakt darauf antwortete, weiß ich nicht, das war
mir viel zu hoch. Heute würde ich es in etwa so synchronisieren:
Schwierigkeiten seien Herausforderungen. Erforderten Gegenmaßnahmen. Stagnation
sei da kein Ruhmesblatt.
    »Gewiß nicht«, sagte mein Vater, »was getan werden kann, wird getan.
Ich muß entschuldigend dazusagen, daß die technische Seite alldessen kaum in
meinem Fachbereich liegt. Ich bin nämlich, müssen Sie wissen, eigentlich
Architekt, kein Ökonom. Architekt mit dem Spezialgebiet neoromanischer
Sakralbauten, ein Bereich, an dem Sie, wie ich erfahren habe, ja auch einmal
Interesse zeigten.«
    »Das ist aber nicht unser Thema heute abend …«
    »Gewiß. Allerdings …«
    Um keinen Unsinn zu erzählen: Ich bin mir nicht ganz sicher, was
genau da vorging. Ich war ein halbes Kind, und kann mich

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