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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Puccini, er lächelte kurz, schien
aber nicht an Details interessiert, und so, schweigend, erwarteten wir den
Hauptgang.
    Nachmittag
    In der Küche hing eine Europakarte. Einer unsrer
Bediensteten, der alte Diener Alfred, hielt mit bunten Fähnchen den momentanen
Stand des Vormarschs der Alliierten fest. So war jeder im Haus, auch ich, über
die Lage stets anschaulich informiert. Es sah auf den ersten Blick noch nicht
allzu gefährlich aus für Groß-Deutschland. Wir standen in Norwegen, in Italien,
dank der Ardennenoffensive sogar noch in Teilen Frankreichs. Nur an der
Ostfront mußten die Fähnchen beinahe täglich ein Stück nach links umgesetzt
werden.
    Es gab ein Eck im Garten der Villa, von dort konnte man durch einen
Riß in der Gartenmauer auf die Straße spähen. Trotz meines Stubenarrests hockte
ich regelmäßig vor jenem Riß und hielt Ausschau, suchte Sofie in der Masse der
Werktätigen, die abends unsre Fabriken verließen, bekam sie nie zu Gesicht.
Fabrikarbeiter waren damit beschäftigt, am Eispalast Verschönerungsaktionen
auszuführen. Beete wurden gepflegt, Lichtgirlanden angebracht, und auf dem
Rasen neben der Auffahrt hockten Gärtner mit Papierscheren in den Fingern. Das
ist die Wahrheit.
    Fast zwei Wochen lang mußten wir nicht in den Keller. Es gab ab und
an Luftwarnung, aber keine Angriffe. Und ich wußte nicht, ob ich darüber
glücklich sein sollte, oder nicht. Ob ich Sofie wieder in die Augen würde sehen
können oder nicht. Aber sehen wollte ich sie. Unbedingt. Und sah sie nicht. Sie
mußte inzwischen doch wieder gesund sein. Der große Tag rückte heran. Meine
Mutter faltete die Hände zum Gebet. »Bitte lieber Gott, mach heute Nacht keinen
Alarm!« Sie verwechselte Briten und Amis mit Gott.
    Mein Vater fühlte sich mir gegenüber schuldig, weil er mich nie
besucht hatte im Spital, und er versuchte mir zu erklären, was der Grund dafür
gewesen war. Wir saßen im Wintergarten, am Vorabend des großen Ereignisses,
erstmals durfte ich ihm auch geistig näher als einen Anstandsmeter kommen.
    »Der Minister ist zuallererst ein Künstler. Ein großer Künstler stellt
seine Kunst niemals zurück. Im Gegenteil. Auf eine Realisierung seiner Träume
kann er aber nur nach erfolgtem Endsieg hoffen – was gibt es da Konsequenteres,
als die eigene Schaffenskraft in den Dienst der Rüstung zu stellen? Er ist ein
radikalerer Künstler als alle anderen, jawohl, das ist fantastisch, das ist
fanatisch und deutsch, darum beneiden uns andere Völker.«
    Das schindete Eindruck in mir, wie ich zugeben muß. Am nächsten
Abend war die Auffahrt zum Eispalast von Fackeln erleuchtet.
    Ich galt inzwischen als nicht mehr ansteckend und durfte mit dem
Rest der Familie vor dem Portal des Ereignisses harren. Trug selbstverständlich
Jackett und Schlips. Wenn es nach meiner Mutter gegangen wäre, hätte ich jeden
Tag Jackett und Schlips tragen müssen, aber Papa war zum Glück mißtrauisch
gegen derlei Auswüchse des Großbürgertums. Kinder, sagte er stets, sollten
nicht durch überzogene Kleidung ihres Kindseins beraubt werden. Ein Credo,
dessentwegen wir Kinder ihn hätten lieben müssen, hätten wir Alternativen
gekannt. Aber das Feierliche des Datums war auch für uns evident. Welch ein
Schauspiel! Die Fackeln an sich widersprachen so sehr den Forderungen nach
Verdunkelung, ich begriff ein wenig über die Wichtigkeit der Illumination von
Ereignissen. Zwei Soldaten bezogen mit Maschinenpistolen Posten. Schwere Reifen
einer Limousine knirschten im Kies.
    Meine Mutter mußte ein Talent für Gebete haben. Tatsächlich gab es
zwei Tage lang nicht mal Luftwarnung. Nichts. Vor dem Gartentor hatten sich
Schaulustige versammelt. Ich erkannte Birgit. Drei Männer entstiegen der
Limousine, in verschiedenen Uniformen und schweren langen Mänteln, braun und
schwarz.
    Papa hatte uns eingetrichtert: »Ihr macht artig Knicks und Diener,
dann verschwindet ihr nach oben und seid ab da nicht mehr gesehen.
Versprochen?«
    Und hier stand er nun, der größte Architekt nach dem Führer selbst.
Die Arme über dem leichten Bäuchlein verschränkt, ließ er sich bewundern, mit
dem Gestenkatalog eines freundlich zu erledigenden Pflichttermins, ungefähr so,
wie Staatsmänner einen Kindergarten besuchen. Die Schaulustigen vor dem Tor
zeigten den Hitlergruß, blieben aber stumm.
    »Herr Minister, es ist mir eine große Ehre …«
    »Heil Hitler!«
    »Heil Hitler. Natürlich.« Papa wurde bleich, wie über einem nicht
wieder gutzumachenden

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