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Hotel ihrer Familie in den Bergen von Fujian gab es stapelweise DVD s mit westlichen Actionfilmen, die man in Xiamen fast nachgeschmissen bekam. Beim Anschauen dieser Filme hatte Yuxia gelernt, dass man jedes Fahrzeug auf der Welt innerhalb weniger Sekunden starten konnte, indem man einfach solange an die Lenksäule schlug, bis Drähte herausfielen, und diese miteinander in Berührung brachte, bis ein Funke sichtbar wurde. Dieser Schlosser hingegen machte daraus eine aufwändige Prozedur mit dem Ziel, das Zündschloss selbst zu knacken. An seiner Miene war deutlich abzulesen, dass er durch das über ihnen tobende Gewehrfeuer ausgesprochen beunruhigt war, was seine Arbeit nicht unbedingt beschleunigte.
Yuxia selbst war natürlich auch beunruhigt. Sie hatte etwas impulsiv reagiert, als sie den armen Schlosser mit den Handschellen ans Lenkrad fesselte. Zu dem Zeitpunkt waren erst ein paar Schüsse gefallen, und sie hatte angenommen, das sei es schon gewesen und er würde den Motor ohnehin in ein paar Sekunden kurzgeschlossen haben. Er hatte überreagiert – indem er die Schüsse als Vorwand benutzt hatte, Yuxia und in der Verlängerung auch Zula, Csongor und Peter im Stich zu lassen. Seitdem hatte sich das Ganze jedoch zu etwas entwickelt, was wie Krieg klang, und immer wieder polterten Trümmerteile auf das Dach des Lieferwagens. Dann schreckte der Schlosser jedes Mal auf und schien in dem Schlossknackprojekt nicht mehr so recht weiterzuwissen. So zog es sich ewig in die Länge, und Yuxia verlor allmählich die Nerven, denn diese missliche Lage machte ihr höllische Angst, und gleichzeitig fühlte sie sich wegen dem, was sie dem Schlosser angetan hatte, schuldig. Nichts hinderte sie daran, aus dem Lieferwagen auszusteigen und wegzurennen. Doch jedes Mal, wenn sie ernsthaft daran dachte, krachte irgendetwas Großes auf das Dach des Lieferwagens und erinnerte sie daran, dass es gut war, Stahl über dem Kopf zu haben. Und das Leben würde wirklich viel einfacher für sie sein, wenn sie den Lieferwagen von da wegbekäme.
Derlei Gedanken beschäftigten sie so sehr, dass sie aufschreckte, als der Motor des Wagens zum Leben erwachte. Die Lichter am Armaturenbrett gingen an und die Tachonadel hob sich von ihrem Stift.
Der Schlosser stieß einen Fluch aus, warf die Werkzeuge, mit denen er gearbeitet hatte, hin und machte sich mit etwas anderem an die Handschelle. Diesmal brauchte er nur ein paar Sekunden. Dann ließ er die Handschelle am Lenkrad und die Hälfte seiner Werkzeuge auf dem Boden des Lieferwagens zurück und war verschwunden. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Beifahrertür wieder zu schließen.
Yuxia beugte sich hinüber und zog die Tür zu, ehe sie sich auf dem Fahrersitz zurechtsetzte und den Schalthebel auf D schob.
Sie warf einen letzten Blick zurück auf das Wohngebäude. Was war mit Zula und ihren beiden Hackerjungs? Dem einen, der schlecht, und dem anderen, der gut für sie war?
Beim Knacken seiner Handschelle war Csongor etwas langsamer als Peter. Zula fiel auf, dass er beim Arbeiten leicht die Zunge vorschob. Daraus zog sie irgendwie den Schluss, dass es wohl besser war, absolut still zu sein und ihn nicht abzulenken.
Sie selbst war allerdings zunehmend abgelenkt durch ein Geräusch, das durch das Treppenhaus herunterhallte und mit jeder Sekunde lauter wurde. Es war eine menschliche Stimme, die immer wieder dieselbe Äußerung wiederholte, so als wäre der Sprecher ein Schauspieler, der versuchte, sich ein schwer fassbares Stück Dialog einzuprägen. Anfangs konnte sie nur ein paar der eher perkussiven Konsonanten ausmachen, doch als der Sprecher Treppe für Treppe näher kam, war sie imstande, die Töne zu Wörtern zusammenzusetzen.
Er sagte: »Du VERDAMMTES Miststück! Du VERDAMMTES Miststück! Du VERDAMMTES Miststück!…«
Es war Iwanow, und er sagte das in einem eher erstaunten als wütenden Ton, so als ginge der Grad an Verdammtes-Miststücktum, den Zula heute gezeigt hatte, weit über alles bisher Dagewesene hinaus, sogar bis zu einem Punkt, wo Iwanow seinen eigenen Wahrnehmungen fast nicht trauen konnte. Während er weiterging, wuchs sein Erstaunen nur noch, und wenn er » VERDAMMTES « sagte, flatterte seine Stimme einen Moment lang in ein Falsett hinauf, ehe sie bei »Miststück« wieder zusammenfiel.
Trotz all ihrer Bemühungen, es nicht zu tun, warf Zula einen flüchtigen Blick zu Csongor hinüber, um zu sehen, wie weit er gediehen war. Er reagierte sofort, was ihr sagte,
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