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ein Stück Küchenfolie um ein flachgedrücktes Rohr gewickelt, etwa von der Größe einer Riesenwurst, aus einem amorphen gelblichweißen Stoff, ein bisschen wie noch nicht ausgerollter Pastetenteig. Aus dem oberen Ende jeder Teigrolle kamen Elektrokabel, die alle miteinander verbunden waren und zu Khalids Schulter und von dort durch den Ärmel seiner Windjacke liefen. Die Hand hatte er im Schoß liegen, öffnete sie aber jetzt etwas geziert und zeigte Pawel und Sergej einen schwarzen Plastikgegenstand mit einem roten Knopf obendrauf.
Darauf konnten die beiden Piloten sich erst einmal keinen Reim machen. Natürlich war es offenkundig ein Sprenggürtel. Aber ein solches Ding hier unmittelbar vor sich am Körper eines Menschen zu sehen, war so schockierend, dass der Verstand es nicht sofort akzeptieren konnte. So als stünde man plötzlich in seiner Küche Hitler gegenüber.
»Ich habe Anweisung, Ihnen schauerliches Zeug darüber zu erzählen, was passiert, wenn das losgeht«, sagte Zula. »Muss ich das? Ich meine, das Entscheidende ist doch, dass es nicht nur uns töten, sondern im Prinzip das halbe Gebäude zum Einsturz bringen wird.«
Dazu fiel keinem der Piloten etwas ein.
Der Reißverschluss der Windjacke wurde wieder zugezogen.
Die Kellnerin brachte ihnen ihre Getränke. Zula bat um die Rechnung.
»Außerdem habe ich Anweisung, Ihnen zu sagen, dass draußen zwei Taxis warten. Pawel steigt in das erste, Sergej ins zweite. In jedem wird einer dieser Männer mit Weste mitfahren, um, wie ich vermute, die Bedrohung aufrechtzuerhalten. Wir fahren direkt zum Flughafen und starten nach Islamabad, sobald sie mit Ihrer Vorflugkontrolle fertig sind. Gibt es noch Fragen?«
Es gab keine Fragen mehr.
Während sie die vier Männer durch die Hotelhalle nach draußen führte, kam Zula sich wie eine Terroristin vor.
Und irgendwie fühlte sich das toll an.
Nicht dass sie Gefahr lief, in absehbarer Zeit bei diesen Typen anzuheuern. Das Burkagebot, die Steinigung und so weiter waren ziemlich triftige Gründe dagegen. Aber sie war so lange (na, so lange auch wieder nicht – weniger als eine Woche) so machtlos gewesen. Der Gang durchs Hyatt mit genug PETN im Schlepptau, um das ganze Gebäude in die Luft zu jagen, vermittelte ihr ein eigenartiges indirektes Machtgefühl. Zwar musterten die müden Geschäftsleute, die an der Rezeption eincheckten, sie nach wie vor mit demselben taxierenden Blick. Sie kümmerte sich jedoch nicht mehr darum, was sie dachten. Sie war über all das hinausgegangen, war Teil einer viel größeren und viel intensiveren Realität, als sie es sich je würden vorstellen können. Sie und ihre Meinungen von ihr waren irrelevant. Kümmerlich.
Ein Mann zu sein, der sein Leben lang ohnmächtig gewesen war? Und diese Macht zu besitzen? Zugang zu diesem Gefühl zu haben, das sie gerade erlebte? Das musste die stärkste Droge der Welt sein.
Als sie hinten in das Taxi einstieg, konnte sie an Jones’ Miene sehen, dass auch er von dieser Droge berauscht war. »Ich würde am liebsten kehrtmachen und wieder in die Stadt fahren«, bemerkte er. Er fummelte am Display seines Handys herum.
»Warum?«
»Wir haben Sokolow gefunden.«
Mit ihrem Rausch war es schlagartig vorbei. Sie hoffte, dass sich das nicht zu deutlich in ihrem Gesicht zeigte.
»Oder wissen zumindest, wohin er gegangen ist. Ein Ort auf Gulangyu.«
Und was passiert jetzt? , hätte sie gerne gefragt, wollte jedoch keine Schwierigkeiten bekommen, weil sie ihre Nase in Dinge steckte, die sie nichts angingen.
Er blickte sie an, als könnte er ihre Gedanken lesen. Er wollte es ihr sagen. Wollte , dass sie fragte.
Diese Befriedigung verweigerte sie ihm.
»Sie fahren jetzt hin«, sagte er, »und kümmern sich um ihn.«
Wenn seine Erfahrung als Schöpfer von REAMDE Marlon überhaupt irgendetwas gelehrt hatte, dann dass grundsätzlich bei jedem Plan etwas schiefging und man nie wusste, was es war, bis es passierte. In diesem Fall war es die Tatsache, dass Csongor zu fest ruderte. Marlon hatte den Ungarn unter extrem chaotischen Umständen kennen gelernt, und in der Zeit, die sie seitdem zusammen verbracht hatten, war er meistens zu sehr abgelenkt gewesen, um der physischen Präsenz des Mannes wirklich Beachtung zu schenken. Mit eins neunzig hielt Marlon sich selbst schon für ungewöhnlich groß. Doch Csongors Anblick hatte ihm die ungewohnte Erfahrung beschert, jemanden zu sehen, der größer war als er. Und er war versucht zu glauben, dass Csongor
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