Erschiess die Apfelsine
zu teuer, oder?«
»Den braucht man aber im Winter. Mit dem kannst du hier drinnen heizen, Rauch würde dich ersticken. Ein Ofen und ein paar hundert Liter Petroleum, das ist mein nächstes Projekt. Und noch mehr Konserven.«
»Aber wozu?«
Pålle zögerte mit der Antwort. Er wiegte sich leicht hin und her.
»Falls etwas passiert.«
»Was soll denn passieren?«
»Guckst du nie Nachrichten? Es kann ganz schnell gehen. Alles kann jeden Moment zusammenbrechen.«
»Ja?«
»Guck dich doch nur um. Was siehst du da draußen?«
»Menschen.«
»Ja, und was hältst du von ihnen? Gefallen sie dir?«
»Meistens nicht.«
»Man muss sich nur umschauen. Die Augen öffnen.«
»Du glaubst, die Welt geht vor die Hunde?«
Pålle lachte bitter.
»Lass es mich mal so sagen. Wenn nichts passiert, dann leben wir so weiter wie bisher. Reißen das volle Programm ab, Gymnasium, Hochschule und dann Villa, Volvo und Wauwau. Aber wenn es nun knallt. Wenn es wirklich explodiert. Dann verbringe ich ein Jahr hier, bis sich alles wieder beruhigt hat.«
»Aber … wer hat das hier denn gebaut?«
»Das Militär. Vater ist beim Heimatschutz, daher habe ich den Schlüssel.«
»Und wenn das Militär dich auffliegen lässt?«
»Liest du keine Zeitungen? Die rüsten doch ab, und solche Bunker wie dieser, die gehören in die Steinzeit. Die sind während des Kalten Krieges gebaut worden, die sind inzwischen vergessen.«
»Dann meinst du nicht, dass jemand anderes hierher kommen könnte?«
»Da kommt niemand mehr her. Das ist doch der Witz an der Sache. Kapierst du, das hier ist ein Ort, wo keiner stört. Hier gelten keine Regeln und Gesetze, nur meine eigenen. Ich bin es, der hier bestimmt, nur ich.«
Er klang sonderbar ruhig, als er das sagte, er muss lange darüber nachgedacht haben. Mit geübtem Griff fischte er eine Dose mit Würstchen heraus, öffnete sie mit dem Dosenöffner und hielt sie über die Kerzenflamme.
»Auf dem Petroleumofen können wir Essen kochen, aber bis dahin müssen wir improvisieren.«
Mir fiel auf, dass er wir gesagt hatte. Pålle und ich.
»Und warum zeigst du mir das alles?«
»Du bist nicht wie die anderen.«
»Mhm …«
»Ich habe dich beobachtet. Dich genau studiert. Du gehst deine eigenen Wege, wie mit diesem Kittel da. Und außerdem hast du mir auf dem Klo gegen diese Schwachköpfe geholfen.«
»Ich nenne sie die Arschgeigen. Man kann die gesamte Menschheit in Arschgeigen und Idioten aufteilen.«
Pålle musste lachen, dass die Würstchendose überschwappte. Er reichte mir eine lauwarme Wurst, die ich aß.
»Arschgeigen und Idioten, haha, und als was bezeichnest du mich dann?«
»Als Ufo.«
»Aus dem fernen Weltraum. Ja, das ist in Ordnung.«
»Ein paar Mädchen haben mich Ufo genannt.«
»Scheiß drauf. Uns können diese Dummbeutel doch egal sein.«
»Genau.«
»Das Wichtigste ist: überleben. Stell dir vor, wenn uns ein Asteroid trifft. Aus dem Weltraum. Peng, der Superknall aller Zeiten, dass die Staubwolke das Sonnenlicht verdeckt und es ein Jahr lang nur Winter gibt. Stell dir das vor, ein ganzes Jahr auf der Erde ohne Sonne. Die Pflanzen werden sterben, genau wie das Plankton im Meer, die meisten Tiere und Fische auch. Ganz zu schweigen von den Menschen. Ich habe so ein Computerspiel zu Hause, neunundneunzig Prozent der Menschheit sind innerhalb weniger Wochen außer Gefecht gesetzt. Und der Rest bringt sich gegenseitig im Kampf um die letzten Essensreste um. So sind die Dinosaurier ausgerottet worden, das ist damals passiert. Aber wir, wir brauchen nur hier im Bunker abzuwarten. Ein Jahr mit Konserven und geschmolzenem Schnee, den wir trinken, und Wärme vom Petroleumofen. Vielleicht zwei Jahre, wenn man richtig für Vorrat sorgt. Und zum Schluss reißt die Staubwolke auseinander, und die Sonne erreicht wieder den Boden, der Schnee schmilzt, und dann sprießen die ersten Knospen. Ich kann direkt vor mir sehen, wie ich aus dem Bunker rausgehe. Frühmorgens. Wie ich das Rad aufpumpe und in Richtung Stadt losstrampele. Aber es gibt keine Stadt mehr. Alles ist schwarz, niedergebrannt. Es gibt gar nichts mehr.«
»Und was machst du dann?«
Pålle richtete seinen Blick zögernd in eine imaginäre Ferne.
»Ich fahre auf dem Rad wieder hierher zurück. Und lege eine Vinylscheibe auf. Ich werde einen batteriebetriebenen Plattenspieler organisieren, ich lege The Clash auf, London Calling …«
Wir teilten uns die letzten Würstchen. Pålle drehte den Verschluss eines der Kanister auf, und
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