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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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anderer Stelle wieder auf.
    Mir kam in den Sinn, dass ich ja vielleicht ein Genie war. Je mehr ich darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher erschien es mir. Tief in meinem Inneren war ich einzigartig, die Welt hatte so etwas noch nie gesehen. Ich war ihnen allen überlegen. Sie sahen mich und spürten meine Kraft, mein Charisma, ich hatte solch eine Ausstrahlung, dass sie ganz neidisch wurden. Sie würden niemals mein Niveau erreichen, und das wussten sie. Beschneiden, zusammenstauchen. Zertrete alles, was dich bedroht. Verhöhne es, lache es aus.
    Der Preis für meine Genialität war die Einsamkeit. Meine Überlegenheit machte mich anders. Ich war ein Ausgestoßener, ein Fremdling für sie. Da war nichts zu machen. Einsam und verbittert würde ich durch das Leben wandern, bis eines Tages – eines Tages … bis das geschah, was geschehen musste. Bis mein großes Werk zum Vorschein käme, meine Asteroidenexplosion, und sie mich niemals wieder würden vergessen können.
    Wie im Fieber sprang ich zum Schreibtisch und ließ es fließen:
     
    Die Feder ist meine Pistole
    Ich schieße dir in die Augen
    spritze dir Worte ins Gehirn
    tagge dich voll mit meinem Spray
    verdammt, wach doch auf
    ich will, dass du aufwachst,
    verdammt wach auf, verdammt
    ich will, dass du aufhörst zu sterben
     
    Das war, wie mit einer Kalaschnikow um sich zu ballern. Mir wurde ganz schwindlig, ich wäre am liebsten hinunter auf den Hof gelaufen und hätte laut losgebrüllt. Einfach geschrien, bis sich die Fenster aller Wohnungen geöffnet hätten und die Leute wissen wollten, was da los war.
    »Dynamit!«, wollte ich schreien. »Sprengt die Welt in die Luft!«
    Einige Zeit später lag ich auf meiner Bettcouch und öffnete nervös Jean Paul Sartres Der Existentialismus ist ein Humanismus. Auf Seite fünfzehn hielt ich inne und dachte nach. Ich hatte nicht einen Furz verstanden. Wütend las ich das Ganze noch einmal von vorn.
     
    Im Morgengrauen wurde ich davon geweckt, dass Mama nach Hause kam. Sie hatte jemanden bei sich. Sie flüsterten und tuschelten, die andere Stimme war dunkel und rau, ich hörte einen Weinkorken ploppen und wie die Schlafzimmertür geschlossen wurde. Kurz danach drangen Geräusche von dort heraus. Unterdrücktes Kichern und dann andere.
    Ich versuchte, mir die Ohren zuzuhalten. Es nützte nichts. Leise ging ich ins Badezimmer, riss mir Klopapierstückchen ab und stopfte sie mir in die Gehörgänge. Auf dem Flur standen Mamas gute Pumps und ein Paar elegante Herrenschuhe, mindestens Größe 48.
    Es roch nach Schweiß und Parfüm, feuchtem Tanzboden und klebrigen Drinks. Und noch nach etwas anderem. Ich überlegte, ob ich die Schlafzimmertür aufreißen und die Deckenbeleuchtung einschalten sollte. Was würde ich zu sehen bekommen? Wie sahen sie aus, was machten sie gerade jetzt?
    Leise kroch ich wieder auf meiner Bettcouch unter die Decke. Trotz Ohrenstopfen drangen die Geräusche zu mir. Was zum Teufel machten sie? Was machte er mit Mama?
     

ACHTUNG! ACHTUNG! ACHTUNG! ACHTUNG!
     
    Lieber Leser, der du das hier liest, du bist doch total blöd in der Birne.
    Du, der du das hier liest, du bist ein Schleimbeutel mit Hirnflattern, du hast Sabber im Mund und Haare unter den Füßen, deine Ohren stehen wie Rückspiegel ab, deine Nase tropft, dein Haar ist mit Margarine eingeschmiert, und deine Schnauze stinkt wie ein Pavianfurz. Haha, jetzt bereust du, dass du angefangen hast, das hier zu lesen, aber jetzt ist es zu spät. Ich huste dich mit Viren an, ich verdrehe dir deinen Hals wie einen Korken, ich ziehe dir die Gedärme heraus, um zu sehen, wie lang sie sind, ich schreibe meinen Namen mit Filzstift auf dein Gehirn. Wer ich bin? Ich bin der Text. Ich bin die Worte, die du gerade liest. Die du nicht wegradieren kannst. Gelesen ist gelesen, du bist erledigt und besiegt. Die Worte existieren jetzt in dir, du wirst sie nie wieder los, kannst mich niemals wieder ungelesen machen. Und das ist der Grund, warum ich der Stärkere bin. Mich verbrennen, ja, das kannst du, aber ich befinde mich bereits in deinem Gehirn. Du kannst das Papier vernichten, aber nicht die Worte. Die einzige Chance, die du hattest, bestand darin, mich nie zu lesen, aber jetzt ist es zu spät. Du hast mich durch deine Augen hereingelassen. Du hättest mich wegwerfen können, mich zu einem Ball zerknüllen, doch du hast es nicht getan. Deine Neugier hat dich hereingelegt, was steht hier, was wollen diese meine Worte von dir?
    Sie wollen dir in den Arsch

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