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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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wir tranken von dem nach Plastik riechenden Wasser.
    »Was war da eigentlich in dem Schulklo los?«, wollte ich wissen.
    »Das war super, dass du sie da reingelegt hast.«
    »Aber warum waren sie so wütend?«
    »Keine Ahnung.«
    »Sie haben die ganze Zeit ›Schwuler‹ geschrien.«
    Pålle gab keine Antwort. Stattdessen lauschte er.
    »Licht aus!«
    Ich blies den Kerzenstummel aus. Alles war dunkel und still.
    Oder schlich da jemand draußen herum? Leises Kratzen. Gemischt mit dem kaum hörbaren Rascheln unserer eigenen Kleidung, während wir atmeten. Erst nach einer ganzen Weile regte Pålle sich wieder auf der Matratze.
    »Dir ist doch wohl klar, dass kein Mensch auf der ganzen Welt von dem hier etwas erfahren darf.«
    »Ich werde keinen Pieps sagen.«
    »Ich muss mich auf dich verlassen können.«
    »Hundertpro.«
    »Wenn es sein muss, werde ich diesen Ort hier mit meinem eigenen Blut verteidigen.«
    »Lieber sterbe ich, als etwas zu sagen. Die müssen mich schon umbringen.«
    Erst bei diesen Worten beruhigte er sich wieder. Überraschenderweise spürte ich seine Fingerspitzen im Nacken. Vorsichtig zupfte er an meinen Haaren. Die Berührung war so federleicht, das ich sie kaum spürte. Kleine Kreise, ein Zittern, ein lang anhaltendes Schaudern lief den Rücken hinunter.
    »Nicht wir sind es, die sterben werden«, flüsterte er. »Wir nicht …«
     

KATIPPEL 6
     
    Als ich zu Hause ankam, war es bereits Abend. Mama war auf und davon, das Badezimmer duftete nach ihrem Ausgehparfüm. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel: »Mach dir die Karottensuppe heiß.« Mama hatte vor einer Weile einen Vortrag gehört, und jetzt befand sie sich in einer Gemüsephase. Ich wärmte die Karottensuppe in der Mikrowelle auf. Schaufelte sie wie ein Kaninchen in mich hinein. Sie machte nicht satt. Es waren noch fünf Scheiben Brot nötig, bevor der Magen endlich aufhörte zu jammern. Ich schaltete den Fernseher ein, zappte mich durch die Privatsender und glotzte auf die Scheibe, ohne wirklich hinzusehen.
    Das hatte ich alles schon mal gesehen. Sex und Geld, flimmernde Werbung. Die Brotscheiben schwollen in mir an, der Bauch wurde voller und voller. Schließlich kam ein Rülpser. Ein brennendes Gefühl, die Magensäure. Die Bauchdecke spannte sich wie ein Luftballon, kauft Shampoo, kauft Chips, kauft BMW, Babywindeln, Binden mit blauem Blut …
    Das Zwerchfell zog sich zusammen. Ich lief ins Badezimmer und erbrach mich über der Toilettenschüssel. Es platschte und stank, ich sah Pålle vor mir, die Würstchen, seine dicken Lippen. Immer und immer wieder kamen Krämpfe, bis ich erschöpft auf dem Boden lag, mir stand der blanke Schweiß auf der Stirn. Als ich spülte, kreiste das Erbrochene in der Schüssel, Karottenfarbe und Würstchenfarbe und Magensaft mischten sich zu einer flimmernden Fernsehscheibe. Mit einem jaulenden Geräusch wurde es hinuntergezogen und verschwand.
    Zitternd spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht und spülte den Mund aus, spuckte mehrere Male ins Waschbecken. Etwas hatte sich verändert. Mit wachsendem Ekel setzte ich mich wieder vor den Fernseher. Und spürte, wie die Wut wuchs. Was für ein Mist! So ein Dreck, Augendreck. In diesem Blinken und Quatschen verschwand das Leben. Stunde um Stunde opferte man, wurde aber nie zufrieden.
    Am liebsten hätte ich die Fernsehscheibe eingeschlagen. Mit Stiefeln in jedem Wohnzimmer herumgewütet, dass die Bildschirme splitterten und die blöden Fressen bluteten. Alle getötet. Die Tiere auch und die Blumen. Ohne Mitleid alles zermalmt. Ich stopfte mir die Hörer in die Ohren und schob Nuke'em rein, das Härteste, was ich finden konnte, ihre Blaster-Scheibe mit grellem Geschrei von Millionen zu Tode Verurteilter. Schloss mich im Schlafzimmer ein, schob einen Stuhl unter die Türklinke, falls meine Mutter nach Hause kommen würde, und tanzte meinen Hass mit wilden Kicktritten aus mir heraus. Jeder Volltreffer spritzte rot auf, ein schönes, heißes Gefühl.
    Mit tränenden Augen warf ich mich anschließend keuchend auf Mamas Bett. Die Stille erschien wie eine Waffe. Eine Panzermine, eingegraben am Einkaufszentrum. Entsichert, wartend. Und tschüs.
    Ich gehörte einfach nicht hierher. Etwas war zwischen der Welt und mir nicht in Ordnung. Die Kontrolleure merkten, dass ich anders war, sie drückten und zwängten mich in die Gießform, aber immer ragte noch etwas heraus. Sie versuchten etwas wegzuschneiden, mich auf Normalmaß zu bringen. Aber gleich ploppte etwas an

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