Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
verschluckt.
    »Und du hältst über alles die Schnauze«, sagte Pålle plötzlich.
    Er bremste. Ich kam neben ihm zum Halten und lauschte. Nur Nadelrauschen. Tannennadelteppich auf dem Boden.
    »Schnauze, kapiert!«, wiederholte er.
    »Klaro.«
    »Du musst es schwören.«
    Er starrte mich an. Auf dem Kopf trug er eine abgewetzte Käppi mit Ölflecken, als wäre er damit unter ein Auto gekrochen. Mir wurde klar, dass er es ernst meinte.
    »Ich werde schweigen, Pålle. Kein Sterbenswörtchen. Du kannst dich auf mich verlassen.«
    Er nickte und beruhigte sich. Dann zeigte sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht.
    »Guck dich um«, forderte er mich auf.
    Ich tat, wie er gesagt hatte. Nichts.
    »Wald«, sagte ich.
    »Falsch.«
    »Wald und Waldweg.«
    »Haha.«
    Pålle stieg von seinem Fahrrad ab.
    »Den Pfad da«, sagte er. »Siehst du ihn nicht?«
    Ich musterte meine Umgebung, so genau ich nur konnte.
    »Es gibt keinen Pfad.«
    »Nimm dein Fahrrad mit. Wenn du es hier lässt, könnte es jemand sehen.«
    Ich schob es hinter Pålle her.
    »Scheiße, heb es hoch. Du darfst nicht die geringste Spur hinterlassen. Häng es dir über die Schulter und pass auf, wo du hintrittst.«
    Tastend verließen wir den Weg und zwängten uns durch die Nadelzweige. Sie standen dicht an dicht, scharfe Zweige bürsteten uns. Ein Stück weiter im Wald wurde es einfacher zu gehen, und auf der Erde konnte ich jetzt die Andeutung eines Wegs erkennen. Hin und wieder blieb Pålle stehen und lauschte angespannt, als fürchtete er, jemand könnte uns verfolgen. Aber nach ein paar atemlosen Sekunden ging er weiter.
    Bald stieg das Gelände zu einem kleinen Hügel an. Pålle folgte der Anhöhe und ging um einen Vorsprung herum. Plötzlich standen wir vor einer Tür. Es war vollkommen unwirklich. Eine grün gestrichene Tür, die direkt in den Berg hinein führte. Pålle holte einen Schlüssel heraus, der in einer Astgabel versteckt gewesen war, und schloss auf. Wir manövrierten unsere Räder hinein, und Pålle zog die Tür hinter uns wieder zu. Schweres Metall rasselte. Dunkelheit umgab uns ganz und gar, und als ich die Augen schloss, war kein Unterschied zu bemerken. Es war so schwarz, dass mir schwindlig wurde, es gab kein Oben und kein Unten. Ich hatte das Gefühl, im Raum zu schweben. Ich hörte, wie Pålle in seinen Taschen wühlte, aber er fand die Taschenlampe nicht.
    »So ein Mist. Komm mit«, flüsterte er.
    Ich trottete den Geräuschen hinterher. Das Bergesinnere war kalt und roch nach nacktem Beton, die Finger fanden eine raue Wand. Die Geräusche von Pålle schienen aus weiter Ferne zu kommen, und dann stieß ich mir auch noch einen Zeh an einem Vorsprung. Eine Eisenleiter führte steil hinunter. Pålle war bereits ein ganzes Stück weit unter mir zu hören, und ich spürte, wie meine Panik wuchs. Wenn er nun verschwand. Allein würde ich hier nie wieder herausfinden. Eingesperrt in diesem Grab würde ich langsam verhungern. Würde verrückt werden, wahnsinnig, mit dem Kopf gegen die Steinwände schlagen …
    »Pålle …?«
    Ein kaum erkennbares graues Viereck. Eine Art Öffnung. Ich duckte mich und gelangte in eine große Grotte. Es war nicht mehr stockfinster. Ich konnte gerundete Wände erahnen und Pålle sehen, der oben an der Decke an einem quietschenden Metallrost herumschraubte. Das Licht wurde Stück für Stück heller.
    »Die Lüftung …«
    Während Pålle von der Eisenleiter heruntersprang, schaute ich mich um. Im Dunkel konnte ich jetzt Gegenstände erahnen, Schatten, Kartons. Er zeigte mir, wo ich mich hinsetzen konnte, es gab eine alte Schaumgummimatratze. Pålle ließ sich neben mir niedersinken, er fand eine Streichholzschachtel und zündete einen Kerzenstummel auf dem Boden an. Der grelle Schein zwang mich zu blinzeln, bis sich die Augen daran gewöhnt hatten.
    »Unglaublich«, flüsterte ich.
    »Findest du?«
    »Ja, Scheiße, Mann, das ist so unwirklich!«
    »Ich wusste, dass du der Richtige bist«, sagte Pålle stolz.
    »Hier findet dich niemand.«
    »Guck mal.«
    Pålle öffnete einen der Kartons. Drinnen befanden sich Unmengen von Konserven. Erbsensuppe, Hackfleischsoße, Ravioli, weiße Bohnen.
    »Futter für einen Monat. Oder zwei, wenn man richtig geizig ist. Falls es eine Krise gibt.«
    »Hast du das alles selbst …?«
    »Ich habe alles hierher geschafft. Es gibt Decken und Matratzen, Wasserkanister, was zu essen, Streichhölzer, Wärmelampen. Fehlt nur noch ein Petroleumofen.«
    »Aber der ist doch bestimmt

Weitere Kostenlose Bücher